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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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ist?«
    »Schreckliche Ereignisse, die nichts mit der Grabung zu tun haben? Vielleicht. Aber es gibt eine Verbindung zwischen ihnen, die wir nicht außer Acht lassen können.«
    »Und was wäre das für eine Verbindung?«
    »Dass sich alle diese Vorfälle unter Ihrer Grabungsleitung ereignet haben. Deshalb müssen Sie auch die Verantwortung übernehmen und gehen. Die Kommission hat mich mit sofortiger Wirkung zum neuen Leiter des Projekts ernannt.«

DREIUNDZWANZIG
    Höhle von Ruac,
30000 Jahre vor unserer Zeit
    Tal nannte die rote Flüssigkeit Flugwasser. Niemand konnte sagen, ob ein Mensch dazu bestimmt war, sich in die Lüfte zu erheben. Doch wenn man von dem Flugwasser getrunken hatte, wusste man nicht mehr, ob man Mensch oder Vogel war. Wie oft hatte Tal hinaufgeblickt zu den Vögeln am Himmel und sich gefragt, wie es sein mochte, die Erde tief unter sich liegen zu sehen. Jetzt wusste er es. Seine anfängliche Angst hatte rasch einem unglaublichen Hochgefühl Platz gemacht. Durch den Trank besaß Tal nun eine überwältigende Kraft.
    Die Kraft, auf dem Wind zu segeln, weitentfernte Dinge zu schauen, tiefer als sonst zu fühlen, und vor allem die Gabe, vieles zu verstehen.
    Wenn Tal von seinen Flügen zurückkehrte, befand er sich immer da, wo er sie begonnen hatte – neben dem Feuer. Er wusste, dass er wundersame Abenteuer erlebt hatte, in einem weitentfernten Land in einer weitentfernten Zeit. Doch sein Klan versicherte ihm stets, dass sein Körper an derselben Stelle geblieben war, gezuckt, um sich geschlagen und unverständliche Schreie ausgestoßen hatte. Und jedes Mal, wenn Tal von einer dieser Reisen zurückkehrte, war er gereizt und leicht in Wut zu versetzen. Deshalb nannten seine Leute diesen Zustand »Tals Zorn«.
    Während seiner ersten Reise mit dem Flugwasser hatte sich sein Klan große Sorgen gemacht. Nach dem Tod seines Bruders war er zum künftigen Anführer bestimmt, und da sein Vater von Tag zu Tag schwächer wurde, hing die Zukunft des Klans von Tals Entscheidungen und Fähigkeiten ab.
    Als er darauf beharrt hatte, die rote Flüssigkeit selbst zu probieren, war es zu einem heftigen Streit gekommen. Tal hatte gesagt, dass es ihre Ahnen gewesen seien, die dem Klan diesen neuen Weg gezeigt hätten, indem sie den jungen Gos von dem Trank hätten kosten lassen. All das sei Teil eines großen Planes – zuerst war Tals Vater krank geworden, dann hatte ein heiliger Wisent Nago getötet, und schließlich hatten die Ahnen ihnen den magischen Trank geschickt.
    Dies seien keine zufälligen Ereignisse, meinte Tal.
    Er war von den Ahnen dazu ausersehen, durch das Flugwasser Dinge zu schauen und zu lernen, und diese Erfahrungen würden dem Klan später zugutekommen. Sobald er der neue Anführer war.
    Die Ältesten des Klans sahen das anders. Wenn Tal dem Klan verlorenging, was würde dann aus ihnen allen werden? Dieses Risiko durften sie nicht eingehen. Sie lebten in einer gefährlichen Welt. Das Volk der Schatten lauerte in den Wäldern.
    Schließlich traf Tals Vater eine Entscheidung, die eine seiner letzten werden sollte. Sein Körper war schwach, doch sein Geist war stark.
    Tal durfte auf seine Reisen gehen.
    Das erste Mal, als Tal das Flugwasser trank, wachte Uboas neben ihm, bis er wieder zurückgekehrt war. Die ganze Nacht lang streichelte sie sein Haar, versuchte, auf seine kehligen Schreie zu antworten, und strich ihm mit den Fingern Wasser auf die heißen, trockenen Lippen.
    Als er in der Morgendämmerung endlich zu ihr zurückkam, waren ihre Augen das Erste, was er sah.
    Er streckte den Arm aus, um ihr Gesicht zu berühren, und sie fragte ihn, wo er gewesen sei und was er gesehen habe.
    Er sagte es ihr.
    Erst hatte er gespürt, wie sein Körper sich verwandelte. Seine Hände wurden zu Klauen, dann verlängerte sich sein Gesicht zu einem harten Schnabel. Mit wenigen, leichten Schlägen seiner Arme erhob er sich in die Lüfte, flog ein paarmal langsam über das Feuer und sah hinab auf seinen Klan. Der Wind, der ihm um die Ohren pfiff, das Licht des Himmels über ihm und der mühelose Flug ließen sein Herz höherschlagen. War er der Erste in seinem Klan oder am Ende gar der erste Mensch überhaupt, der solche Erfahrungen machte?
    In der Ferne sah er schwarze Pferde in der Steppe grasen und flog zu ihnen, um ihre Anmut und Kraft zu bewundern. Er schwebte so knapp über ihren breiten, mit lockigem Fell bewachsenen Rücken, dass die Pferde losgaloppierten und rannten, bis sie ins Schwitzen kamen.

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