Die Zeit: auf Gegenkurs
Anarch nickte. »Weil ich nicht von meinen Offenbarungen, meinem besonderen, sicheren Wissen abrücken will; ich kann nicht vergessen, was ich im Tode erfahren habe. Mehr als man verdrängen kann, wie das Entsetzen, das einen befällt, wenn man entdeckt, daß man begraben ist; einige Erinnerungen kann man ins Leben hinüberretten.«
»Was kann ich tun?« fragte Sebastian.
»Sehr wenig«, sagte der Anarch. »Die Jünger der Macht haben recht, wenn sie sagen, daß Sie im Grund keine Chance gehabt haben, mich aus der Bibliothek zu befreien; man hatte eine Splitterbombe deponiert, und ich war die Sprengfalle. Wenn ich aufgestanden wäre, hätte die Bombe uns beide getötet.«
»Sagen Sie das nur, damit ich mich besser fühle?« fragte Sebastian.
»Ich sage Ihnen die Wahrheit«, erklärte der Anarch.
»Und was jetzt?« fragte Sebastian. »Ich tue alles, was Sie wollen. Alles, was ich kann.«
»Sie treffen sich mit Miss Fisher.«
»Ja«, bestätigte er. »Die Jünger warten auf sie. Ich bin wie Sie; ich bin eine Sprengfalle. Für sie.«
»Lassen Sie sie gehen«, sagte der Anarch.
»Warum?«
»Sie hat ein Recht, zu leben.« Der Anarch wirkte vollkommen gelassen; er lachte erneut. »Für mich gibt es keine Rettung«, erklärte er. »Die Jünger können die ganze Bibliothek in die Luft jagen, und es wird nur …«
»Aber«, wandte Sebastian ein, »wir können auch Ann Fisher erwischen.«
»Sie werden Sie wahrscheinlich erwischen, wenn sie die Bibliothek in die Luft jagen«, unterbrach der Anarch. »Aber es
wird nichts ändern.«
»Die Jünger werden sie erwischen«, sagte Sebastian. »Aber auf diese Weise kann ich sie erwischen.«
»In Wirklichkeit hassen Sie Ann Fisher gar nicht«, erklärte der Anarch. »Im Gegenteil; Sie sind rettungslos, hoffnungslos in sie verliebt. Deshalb sind Sie so begierig darauf, sie zu töten: Ann Fisher verschlingt zuviel von Ihren Gefühlen; den Großteil, um es genau zu sagen. Sie zu töten, wird Sie Lotta nicht näherbringen; Sie müssen Ann Fisher abfangen, wenn sie auf dem Dach landet, und sie warnen, nicht ihr Apartment zu betreten. Verstehen Sie?«
»Nein«, sagte Sebastian.
»Sie müssen sie auch davor warnen, in die Bibliothek zurückzukehren; Sie müssen sie über den geplanten Angriff informieren. Sagen Sie ihr, sie muß dafür sorgen, daß die Bibliothek evakuiert wird. Der Angriff beginnt heute abend um sechs Uhr; zumindest nach dem Operationsplan der Jünger. Ich glaube, sie werden es tun; wie Sie selbst gedacht haben, Töten gehört zu ihrem Beruf.«
Seine eigenen Gedanken aus dem Mund des Anarchen zu hören, versetzte ihm einen Schock; ihm war plötzlich unbehaglich zumute. Zögernd sagte er: »Ich glaube nicht, daß Ann Fisher in irgendeiner Weise von Bedeutung ist; ich glaube, Sie sind wichtig – Sie und Ihre Sicherheit. Die Uditen haben völlig recht; es lohnt sich, die Bibliothek in die Luft zu jagen, wenn auch nur die geringste Chance …«
»Aber es gibt keine Chance«, unterbrach der Anarch. »Nicht die geringste.«
»Dann verschwinden auch Ihre Lehren, die Gewißheit, daß es ein Leben nach dem Tode gibt. Die Löschungsräte werden sie auslöschen.« Er fühlte sich hilflos.
»Ich erscheine Mr. Roberts als Vision«, sagte der Anarch mit unerschütterlicher Ruhe. »Ich spreche oft mit ihm. In gewisser, begrenzter Hinsicht inspiriere ich ihn. Die Kernpunkte meiner neuen Erkenntnisse werden deshalb durch ihn die Welt erreichen. Und Ihre Sekretärin, Miss Vale, hat viele meiner Worte mitgeschrieben.« Der Anarch wirkte nicht bekümmert; eine
Aura heiliger Ergebenheit umgab ihn.
»Liebe ich Ann Fisher wirklich?« fragte Sebastian.
Der Anarch antwortete nicht.
»Eure Heiligkeit«, sagte Sebastian drängend.
Der Anarch deutete hinauf zum Nachmittagshimmel. Und dann begann er sich aufzulösen; die hinter ihm parkenden Wagen wurden sichtbar, und dann, nach und nach, verschwand er.
Ein Schwebewagen senkte sich auf das Dach und suchte nach einem Landeplatz.
Da kommt sie, erkannte Sebastian. Es konnte niemand anders sein.
Der Wagen landete, und er ging darauf zu. Als er ankam, versuchte Ann Fisher vergeblich, den Sicherheitsgurt zu lösen. »Auf Wiedersehen«, begrüßte er sie.
»Wiedersehen«, sagte sie, mit dem Gurt beschäftigt. »Dieses gottverdammte Ding; immer habe ich Schwierigkeiten damit.« Dann blickte sie auf, sah ihn mit ihren blauen Augen durchdringend an. »Du siehst seltsam aus. Als wolltest du mir etwas sagen, ohne es zu
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