Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
»Es kann doch nicht …« Bislang waren die höher liegenden Häuser verschont geblieben, jetzt hatte das Wasser auch sie erreicht.
Und dann, als die Frauen am Aussichtsplatz, von dem Ida am Tag zuvor noch in das sonnige Tal hinuntergesehen hatte, anlangten, gipfelte das Weinen Frau Brandmanns in einem gequälten Aufschrei. Den ansteigenden Wassermassen waren sie hier erst mal entkommen, und alle nahmen sich einen Augenblick Zeit, sich umzuwenden. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die Kirche in den Fluten versank. Nur der Turm schaute noch hervor, bis die Gewalt des Flusses die Fundamente des Gotteshauses mit sich riss und auch dieser langsam in sich zusammenfiel.
»Die Apokalypse!«, sagte Frau Brandmann tonlos. »Gott straft uns!« Sie begann, Gebete zu murmeln.
Kurz darauf hasteten auch die Männer hinter ihren Familien den Hügel hinauf.
»Nicht stehen bleiben!«, mahnte Jakob Lange keuchend die Frauen, die wie gelähmt auf die Wassermassen blickten, die eben ihre Kirche verschlungen hatten. »Rauf zur Station. Hier können wir alle ertrinken!«
Vor dem Missionshaus standen die drei Pastoren und starrten auf das Inferno – die Idee, dieser Flut mit Sandsäcken beikommen zu wollen, hatten sie dieses Mal wohl gleich verworfen. Sie hielten ihre Schaufeln zwar noch in den Händen, hatten aber gar nicht erst begonnen, Säcke zu füllen. Als die Siedler nun die Station erreichten, begannen sie sofort, mit ihnen zu beten. Elfriede Busche sank weinend in die Arme ihres Mannes.
Der kleine Franz klammerte sich an seinen Vater. »Macht Gott alles gut? Gott macht doch alles gut, nicht?«
Cat und Ida warteten die Antwort nicht ab. Ihnen stand der Sinn nicht nach Beten. Cat nahm ihre Freundin an die Hand und zog sie weiter, um das Missionshaus herum, und Elsbeth schloss sich ihnen an.
»Steht hier wohl noch eine Hütte?«, fragte sie. »Ich muss ins Trockene, ich bin völlig durchnässt. Franz auch, wir wären eben fast ertrunken. Das Wasser stieg rasend schnell in unserem Haus. Dabei war es doch bislang nie so hoch gekommen. Und Vater wollte es nicht glauben! Als es dem Franz schon bis zur Brust stand, da wollte er immer noch an die Entwässerungsgräben. Als ob das irgendetwas genützt hätte! Ich bin mit Franz allein weggelaufen, wir haben es gerade so geschafft. Wir hatten nur Glück, dass die Brandmanns auch gerade kamen. Wenn Erich Brandmann den Franz nicht getragen hätte …«
Brandmanns jüngster Sohn schien überhaupt recht anstellig. Auch er hatte seine Mutter und seine Schwester gewaltsam aus dem Haus getrieben, während sein Vater noch glaubte, die Lage beurteilen zu müssen.
Die drei erreichten jetzt den Windschatten des Missionshauses, hier schienen sich die Elemente etwas beruhigt zu haben. Ida suchte erschöpft Halt an einem Zaunpfosten. Im Pferch hinter der Mission trabten aufgeregt die beiden Pferde herum. Sie wenigstens hatten sich in Sicherheit gebracht, und einer der Gottesmänner hatte sie wohl geistesgegenwärtig eingesperrt, bevor sie ihre Flucht womöglich bis Nelson fortgesetzt hätten. Bei den Pferden wartete, wie auch schon bei der letzten Überschwemmung, Chasseur. Von den Kühen fehlte jede Spur.
Und leider hatten Ottfried und seine Männer den Abbau der alten Hüttensiedlung nicht nur als Vorwand für Trinkgelage verwandt, sondern im Laufe der Zeit tatsächlich alle Behausungen bis auf Ottfrieds und Idas alte Hütte abgerissen. Die Frauen strebten ihr jetzt zu, sosehr es Cat und Ida zuwider war, den Ort ihrer Erniedrigung erneut aufzusuchen.
»Können wir nicht … in die Mission?«, fragte Ida leise, kurz bevor sie das Holzhaus erreichten.
Cat schüttelte den Kopf. »Mir fällt’s auch nicht leicht«, raunte sie der Freundin zu. »Aber wir müssen gucken, wie es da aussieht. Bevor die anderen kommen. Ob da irgendwas ist, das wir gebrauchen können …«
»Gebrauchen?«, fragte Ida tonlos. Sie war schon wieder kreidebleich. »Wozu gebrauchen?«
Cat stützte sie. »Ida, das Wasser steigt noch immer«, sagte sie leise, um Elsbeth nicht zu beunruhigen. Das Mädchen stieß eben erleichtert die Tür der Hütte auf, es wähnte sich erkennbar in Sicherheit. »Es gibt keine Gewähr dafür, dass wir hier sicher sind.«
»Aber die Mission«, flüsterte Ida. Sie konnte nicht glauben, dass dieser Albtraum vielleicht immer noch nicht zu Ende war.
»Was ist mit der Mission?«, spottete Cat. »Glaubst du, Gott wird dem Wasser davor Einhalt gebieten? Um all der Gebete willen, die da
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