Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Regen, der beständig und hart auf das Stalldach prasselte, und da war vor allem der Fluss, dessen Gurgeln und Rauschen von Stunde zu Stunde lauter wurde. Genau so hatte es bei der letzten Flut angefangen.
Und dieses Mal ließ der Moutere Cat nicht die Zeit, Ida und Ottfried zu warnen. Nachdem sie gegen Morgen endlich in einen unruhigen Schlaf gefallen war, erwachte sie von Chasseurs Bellen, Bertas verängstigtem Brüllen und von einem Schwall kalten Wassers, das in den Stall drang. Die Flut suchte sich ihren Weg unter der Stalltür hindurch.
Als Cat erschrocken aufsprang und sie aufriss, schoss ihr das Wasser entgegen und überschwemmte den Boden sofort fußhoch. Das Land unterhalb des Hauses war bereits völlig vom Fluss vereinnahmt, Cat sah Bäume und Sträucher im Wasser, aus- und mitgerissen von der Wucht der Flut. Dies war schlimmer als die letzten Male.
Die junge Frau schickte sich an, zunächst die Tiere zu retten. Die Pferde trampelten schon in ihren Verschlägen und stürmten hinaus, als Cat sie losband. Berta musste sie dagegen wieder mal zwingen. Die Kuh muhte ängstlich. Sie fürchtete sich in dem überschwemmten Stall, aber in den Regen hinaus wollte sie erst recht nicht. Als Cat sie endlich ins Freie getrieben hatte, stand das Wasser im Stall bereits kniehoch und musste auch längst ins Haus eingedrungen sein. Cat brach ihm endgültig Bahn, indem sie die Tür zur Küche aufriss.
»Ida!« Sie brüllte den Namen der Freundin – und erschrak, als ihr stattdessen Ottfried noch im Nachthemd entgegenkam.
»Was soll das … das …« Ottfried blickte verwirrt auf Cat und auf das Wasser, das gleich seine nackten Füße umspülte. »Der … der Fluss?«
Cat blitzte ihn an. »Nein«, entgegnete sie sarkastisch. »Nur ein kleiner Eimer Wasser, der Gott umgefallen ist. Wo ist Ida, Ottfried? Sie muss sich anziehen, schnell! Und mitnehmen, was sie retten will. Wir müssen hier weg!«
Ottfried schnaubte unwillig und watete zum Fenster. »Fängst du schon wieder an? Die Gräben …«
Cat rannte an ihm vorbei und riss die Tür zu Idas Schlafzimmer auf. »Sieh nach draußen, Ottfried, es gibt keine Gräben mehr! Alles ist längst überflutet, diesmal ist nichts zu retten. Nur das nackte Leben. Wenn das Wasser weiter so steigt …«
Ida war bereits auf und versuchte, ihr Kleid anzuziehen. Eigentlich war ihre Hand verheilt, sie brauchte keine Hilfe mehr, doch das Kleid hatte für die Nacht auf einem Stuhl gelegen, und es hing teilweise im Wasser. Der feuchte Stoff überforderte Ida. Cat riss ihr das abgetragene Kleid aus der Hand.
»Das ist nass, nimm das gute!«
Sie zerrte das wollene Sonntagskleid aus dem Schrank und half Ida, es überzuziehen. Sehr lange blieb jedoch auch das nicht trocken. Als Cat und Ida das Schlafzimmer verließen, stand das Wasser im Haus schon mehr als kniehoch. Und selbst Ottfried sah die Hoffnungslosigkeit eines Rettungsversuchs jetzt ein. Rasch zog er sich Hemd und Hose über.
»Geht schon mal, ich hole euch ein!«, rief er Cat und Ida zu.
Die Frauen versuchten, ihre Röcke zu raffen, während sie sich durch Schlamm und beständig steigendes Wasser zum Weg zur Missionsstation kämpften. Es war hoffnungslos, sich irgendwie gegen die Nässe schützen zu wollen. Es regnete wie aus Kübeln und stürmte obendrein. Ida klatschte das offene Haar ins Gesicht, als sie mit gesenktem Kopf weiterstapfte. Sie konnte sich an keinen Tag in den letzten Jahren erinnern, in dem sie es nicht ordentlich aufgesteckt hatte. Cats Haar war immerhin zu einem Zopf geflochten, sie hatte es für die Nacht nicht gelöst.
Ottfried tauchte hinter den beiden auf, bevor sie noch den Hauptweg erreicht hatten, und zerrte Elfriede Busche hinter sich her. Sie hielt ihr Kind im Arm und schrie verzweifelt nach ihrem Mann.
Robert Busche war hinter ihnen, doch er schaute immer wieder mit irrem Blick hinunter zu seinem Haus, das eben zusammenbrach. Der Fluss schwemmte Balken und Wände davon, als spielte er mit einem Papierschiffchen.
»Das … das kann nicht sein, das …« Elfriede verharrte jetzt auch, stammelte unverständliche Worte und versuchte dann, sich loszureißen. »Ich muss da hin! Ich muss runter! All meine Sachen! Meine Aussteuer! All die schönen Sachen!«
Ottfried hielt sie jedoch mit festem Griff, bis Robert sich wieder halbwegs gefangen hatte und den Arm um sie legen konnte.
»Beruhige dich, Elfriede, wir haben unser Kind und unser Leben, wir haben …«
»Nichts. Wir haben nichts mehr!«
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