Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Elfriede brach in ersticktes Schluchzen aus. »Es ist alles, alles weg.«
Robert sprach beruhigend auf sie ein, um sie zu trösten, aber Ottfried trieb jetzt beide weiter. Er schien allerdings weit entfernt davon zu sein, vollständig aufzugeben. Nachdem Ottfried heftig auf Robert Busche eingeredet hatte, übergab der junge Mann seine Frau an Cat und Ida und eilte selbst mit Ottfried voraus. Irgendwo oberhalb der Flussgrundstücke würden sie den Kampf um die verbleibenden Häuser aufnehmen.
»Und ihr kommt dann nach!«, befahl Ottfried den Frauen. »Sobald Elfriede und das Kind in Sicherheit sind. Wir werden jede Hand brauchen, wenn wir überhaupt noch etwas retten wollen! Du jedenfalls, Cat, wirst dich nützlich machen. Ida … mit dem Kind …« Er schien hin und her gerissen zwischen der Sorge um seinen »Stammhalter« und dem Erhalt der Siedlung.
»Den Teufel werden wir tun!«, stieß Cat aus, als er außer Hörweite war. »Wir gehen zur Missionsstation und sehen zu, dass wir ins Trockene kommen. Nun machen Sie endlich, Frau Busche! Sehen Sie nicht, dass der Fluss weiter steigt?«
Ida, jetzt schon außer Atem, wandte ihr das bleiche, regennasse Gesicht zu. »Cat, wenn wir mitarbeiten … wenn wir wirklich hart arbeiten, dann … vielleicht verlieren wir dann ja die Kinder!«
»Psst!«, zischte Cat und wies auf Elfriede Busche, die Ida mit leerem Blick anstarrte. Cat wusste nicht, wie weit sie aufnahmefähig war, falls sie das jedoch mitbekommen hatte und sich später erinnerte …
Ida biss sich auf die Lippen.
»Du kannst nicht den ganzen Tag graben oder Säcke schleppen!«, beschied Cat sie dann, als hätte sie sich einfach nur angeboten, ihrem Mann und der Gemeinde selbstlos zu helfen. »Am Ende ist nicht nur das Kind tot, sondern du bist es gleich mit. Das ist es nicht wert. Und heute … Ida, ich glaube, es geht nicht um nass werden und schwer arbeiten. Es geht darum, nicht zu ertrinken. Wenn Lange und Brandmann und Ottfried und all die anderen Sturköpfe das endlich einsehen, dann kommen sie da noch raus – die können doch wohl auch alle schwimmen. Aber dich zieht schon das nasse Kleid in die Tiefe. Vergiss das, Ida. Wir …«, sie lächelte mühsam, als ihr Idas neuester Lieblingsausdruck einfiel, »wir drücken uns!«
Die Frauen erreichten jetzt endlich den Hauptweg, und immer noch stieg der Fluss in rasender Geschwindigkeit. Das Tal verwandelte sich zusehends in einen grauen Hexenkessel aus peitschendem Regen und rauschendem Wasser, das die Füße der Frauen jetzt schon wieder umspülte. Auf dem breiten Weg zur Station stießen sie auf weitere Flüchtlinge. Verschreckte, mitunter unvollständig angezogene Frauen und Kinder, deren Männer zwar noch um ihre Häuser kämpften, die Hoffnungslosigkeit ihres Tuns aber wohl schon erkannten. Cat empfand die Situation als gespenstisch – all diese sonst so selbstsicheren, adrett gekleideten Frauen, die nie ohne gestärkte Hauben aus dem Haus gegangen waren und die jetzt mit strähnigem, offenem Haar und falsch zusammengeknöpften Kleidern durch den Regen irrten. Dazu kam eine ganze Gruppe rennender Tiere: die Hunde und Katzen der Siedler, aber auch eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Ratten, die sich in gemeinsamer Flucht mit den zu ihrer Vernichtung angeschafften »Raubtieren« vor den Fluten in Sicherheit brachten.
Die menschlichen Flüchtlinge kämpften sich schweigend über den schlammigen Weg, einige weinten auch oder beteten. Vor allem die älteren Frauen, deren Familien fast alle weiter oben am Hang gesiedelt hatten, standen fassungslos vor den Naturgewalten, die nun endgültig die Zukunft von Sankt Paulidorf zerstörten. Frau Brandmann schluchzte, während sie, gestützt von Erich und umgeben von ihren lamentierenden Töchtern, zur Hauptgruppe der Flüchtenden stieß. Elsbeth und der kleine Franz folgten den Brandmanns. Ida umarmte ihre Geschwister.
»Schwimmt jetzt alles weg?«, fragte Franz ungläubig.
»Aber nein!«, tröstete ihn Gudrun Brandmann. »Das Wasser geht morgen wieder weg, so Gott will, und dann machen wir einfach alles sauber und …«
Der Blick, mit dem Elsbeth Lange sie bedachte, konnte nur als tödlich bezeichnet werden.
»Doch, Franz!«, sagte das Mädchen zu seinem Bruder. »Gott sei Dank schwimmt jetzt alles weg! Alles, jedes einzelne Haus. Diesmal ist es endgültig, diesmal bauen wir dieses vermaledeite Dorf nicht wieder auf!«
»Es kann doch nicht bis zu unserem Haus kommen!«, wimmerte Frau Brandmann.
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