Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
da auf uns zukommt.«
»Ihr wusstet das auch!«, sagte Ida. Sie nahm gern in Kauf, einen Sturm der Entrüstung zu ernten. »Karl Jensch hat es euch gesagt, aber auf den wollte ja keiner hören …«
»Wakefield hätte es uns sagen müssen!« Peter Brandmann stapfte davon, sichtlich bemüht, sich lieber in Wut zu steigern, als sich der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hinzugeben. »Er muss uns anderes Land geben!«
»Das wird er doch nicht wirklich tun, oder?«, fragte Elsbeth ihre Schwester besorgt.
Sie und Franz waren bereits aufbruchbereit, während viele andere Frauen noch weinten und lamentierten und die Männer darüber beratschlagten, ob es Sinn machte, in den Trümmern der Siedlung nach Wertgegenständen oder Erinnerungen zu suchen, bevor man abzog. Ida, deren Haus eines der ersten Opfer der Flut geworden war, wusste, dass dies vergeblich war, und Elsbeth war es völlig egal, was von den bestickten Decken ihrer Mutter und ihrer eigenen Aussteuer vielleicht noch übrig war. Sie wollte nur noch weg.
Ida schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht«, beantwortete sie die Frage ihrer Schwester. »Wakefield hat uns natürlich nicht die Wahrheit gesagt – aber wir haben ihn ja geradezu darum angefleht, betrogen zu werden. Es war Vaters und Brandmanns Idee, am Moutere zu siedeln. Darauf wird er sich herausreden. Und überhaupt: Er hat uns Land versprochen, und wir haben Land bekommen. Es gehört uns ja auch noch … wir können nur nichts damit anfangen. Die Maori hätten es nicht an Wakefield verkaufen dürfen.«
Cat verzog das Gesicht. »Die Maori werden genauso Wakefield gegenüber argumentieren wie er euch gegenüber. Sie haben ihm gegeben, was er wollte, er hat’s gekauft, wie besehen. Wenn er Fragen gestellt hätte, hätten sie wahrheitsgemäß geantwortet. Te Rauparaha ist kein Lügner, aber ein … wie sagt ihr das? Ein Schlitzohr. Nun kommt, lasst uns aufbrechen. Der Weg wird lang genug, wir sollten gehen, solange es gerade nicht regnet.«
Es war ein trauriger Zug von ausgehungerten, abgerissenen Menschen, der drei Tage später in Nelson eintraf. Bis dorthin war es zwar nicht weit, aber die Siedler kamen nur langsam voran. Dabei fand Cat, dass die Wege in einem deutlich besseren Zustand waren als noch ein paar Monate zuvor, als sie mit Ida und Ottfried hergefahren war. Wakefield hatte wohl Straßenbaukolonnen eingesetzt, um sie zu befestigen. Trotzdem hielten die Frauen und Kinder, die lange Wanderungen nicht gewöhnt waren, die Gruppe auf. Das Wetter blieb anhaltend schlecht, und mitunter regnete es so heftig, dass die Familien nicht weiterwollten, sondern sich lieber im Wald unterstellten. Manche Frauen, wie etwa die völlig gebrochene Frau Brandmann, mussten zu jedem Schritt überredet werden. Sie wussten zwar, dass sie nicht in Sankt Paulidorf bleiben konnten, aber sie wollten auch nicht zurück nach Nelson. So klammerte Frau Brandmann sich an ihren Mann und an Ottfried, der sich auf dieser Wanderung eher seiner alten Familie als seiner neuen anschloss. Es war ihm unangenehm, mit Cat, deren Blicke auf ihren Peiniger immer noch tödlich waren, am Feuer zu sitzen, und was Ida anging … Ottfried fürchtete ihre Vorhaltungen, dass die Katastrophe vorhersagbar gewesen war. Und er fürchtete seinen eigenen Jähzorn. Wenn Ida Karl Jensch noch einmal erwähnte, würde ihm die Hand ausrutschen.
So ertrug er lieber die Klagen seiner Mutter und seiner Schwestern, die für ihre missliche Lage eher ihren strafenden Gott verantwortlich machten als die Gemeindeältesten, die alle Warnungen in den Wind geschlagen hatten. Er führte die Pferde und ließ die Kinder abwechselnd darauf reiten – was wenigstens unter den Jüngsten für etwas bessere Stimmung sorgte. Natürlich klagten die Kinder der Siedler über schmerzende Füße und Hunger, die meisten Männer und Frauen waren jedoch zu antriebslos, um nach essbaren Pflanzen zu suchen oder Fische zu fangen. Nur Cat war eine Ausnahme. Ihr war morgens zwar oft übel, aber spätestens gegen Mittag war sie hungrig wie eine Wölfin. Nun boten die Wälder um Nelson für die blonde Maori natürlich auch eine Fülle von Nahrungsquellen. Sie grub Wurzeln aus, hielt Ida und Elsbeth an, Beeren zu sammeln, und fing auch ohne Reusen geschickt Fische. Erich Brandmann, Ottfrieds Bruder, schloss sich ihr dabei meistens an, und so hätten auch Frau Brandmann und ihre Töchter nicht darben müssen, wenn sie sich nicht ununterbrochen in sinnlosem Weinen und Lamentieren
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