Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
tröstlich, zu Gott zu sprechen, auch wenn er nicht antwortete.
Ida brachte die Kartoffelschalen und andere Abfälle auf den neu angelegten Komposthaufen. Dann machte sie sich daran, die Wolle zu waschen, die sie später verspinnen wollte, schließlich war es so ein schöner Tag. Und Cat hatte ihr ein paar Pflanzenrezepte zum Färben gegeben. Bisher nur erprobt mit Flachs, aber warum sollte sich damit nicht auch Schafwolle verschönern lassen? Ida ging also in den Wald, um die Pflanzen zu suchen – und war stolz auf sich, nicht zu Tode zu erschrecken, als eine Weta vor ihr aufsprang und sich kurz auf ihre Schulter setzte, bevor sie ihren Weg in die Büsche fortsetzte. Cat hatte ihr von der riesigen, für ihre neue Heimat typischen Heuschreckenart erzählt. Die Tiere seien harmlos, hatte Cat gesagt – wenngleich hässlich. Ihr Name bei den Maori bedeute »Gott der hässlichen Dinge«.
Als ob es dafür einen Gott brauchte! Ida überlegte, ob dieser Gedanke wohl schon heidnisch war, und sprach ein Gebet, um Gott für eine eventuelle Lästerung um Verzeihung zu bitten. Er antwortete nicht. Dabei hätte die Stille im Wald … Es hieß doch, man müsse nur in die Stille hineinhören, um endlich seine Stimme zu vernehmen. Wenn Ida ihn bislang also nie gehört hatte, hatte um sie herum einfach nicht genügend Stille geherrscht. Jetzt jedoch …
Ida begann, die Stille als gespenstisch zu empfinden. Mit klopfendem Herzen nahm sie ihre Kräuter und ging zurück zum pa , wo Chasseur mit lautem Gebell Ratten jagte. Und dann wurde es sehr bald Abend. Ida betete immer wieder, ohne eine Antwort zu bekommen. Schließlich wich die Stille nächtlichen Lauten. Ida hörte Kreischen, Schreie … Vögel, sie wusste, dass es sich um Vögel handelte. Oder doch um den Kampfruf von Kriegern? Hatten die Stämme nur darauf gewartet, bis die Männer fort waren, um sich dann für die Entweihung des pa zu rächen? Aber nein, Cat hatte ihr versichert, dass keine Maori rund um die alte Festung lebten. Sie hätte ihre Spuren sonst irgendwann in den vergangenen drei Wochen gefunden.
Und dann dachte Ida an die Geister … Die Stimmen der Menschen an diesem Ort mochten sie bisher gebannt haben. Nachdem Cat beim Ernten der kumara die ersten karakia gesungen hatte, begleitete sie ganz selbstverständlich auch alle anderen Arbeiten mit Beschwörungen. Es erinnere sie an ihre Pflegemutter, hatte sie gesagt und lachend hinzugefügt, es befriede die Geister. Ida hatte ihr gern zugehört – auch wenn sie hinterher Gott um Vergebung für ihr heidnisches Tun hatte bitten müssen. Doch jetzt … jetzt war Cat fort, und die Geister schrien in der Nacht. Und Gott antwortete nicht …
Ida verbrachte die Nacht zitternd in einer Nische zwischen dem breiten, neu gezimmerten Bett und ihrem Kleiderschrank. Sie klammerte sich an Chasseur, der die Aufregung seiner Herrin nicht begriff und schließlich begann, nervös zu winseln.
Sie war so allein, und Gott antwortete nicht, und das Kind … das Kind in ihrem Leib rührte sich nicht, müsste es sich nicht endlich mal rühren? War es überhaupt noch am Leben, oder wusste es … Wusste Gott, dass sie es nicht wirklich gewollt hatte, und nun wurde es womöglich Beute der Geister und seine Mutter mit ihm?
Ida wiegte sich wimmernd vor und zurück. Chasseur leckte ihr beruhigend das Gesicht, erfreut und erstaunt, dass sie ihn nicht abwehrte.
Und dies war erst die erste Nacht.
KAPITEL 6
Die Canterbury Plains, so befand Cat, trugen ihren Namen zu Recht. Tatsächlich waren es weite Ebenen, bedeckt mit Tussockgras, nur gelegentlich aufgelockert durch eine Baumgruppe, einen klaren, von kleinen Bächen gespeisten See oder ein paar Felsen, die wirkten wie vom Himmel gefallen. Im Hintergrund des Graslandes sah man schneebedeckte Berge, die Südalpen, die von fast jedem Ort der Südinsel, an dem Cat bislang gewesen war, zu sehen waren. Aber hier wirkten sie näher, schärfer umrissen. Kein Wald und kein größerer Hügel versperrten die Sicht, und die Luft schien fast noch klarer, der Himmel weiter und die Wolken fedriger zu sein als anderswo. Der Waimakariri, dessen Verlauf Ottfried und Gibson mit ihren Planwagen folgten, war breit und lebhaft. Cat schaute nach Maori-Siedlungen an seinen Ufern aus, aber in den zwei ersten Tagen passierten sie kein marae der Ngai Tahu, lediglich sehr selten eine noch im Aufbau befindliche pakeha -Farm.
»Wahrscheinlich siedeln sie im Inland … falls der Fluss über die Ufer tritt«,
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