Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
erneut einen kurzen Blick unter der Plane hervor und erkannte entsetzt, dass sich dem Missionar, der die Arme segnend erhoben hatte, eine beträchtliche Anzahl junger Männer entgegenschob, die ihre Speere drohend auf den Boden stießen.
»Nehmen Sie die Hände runter, Sie Idiot!«, brüllte Carpenter. »Keine Aufregung, Te Puaha, er will nur guten Tag sagen. Das Zeichen für kia ora , Leute, verstanden?«
Reverend Morton ließ die Arme erschrocken sinken, und Te Puaha lächelte wieder. Er war ein stämmiger junger Mann, wie überhaupt fast alle Maori-Männer schwer und untersetzt wirkten. Ihre dunkle Haut war besonders im Gesichtsbereich mit blauen Ranken und blattähnlichen Gebilden tätowiert. Der Missionar war verständlicherweise erblasst, als sie Anstalten machten, sich auf ihn zu stürzen.
»Wir gedacht, Kriegskeule«, erklärte Te Puaha versöhnlich. »Oder Feuerding – Mus-ke-ta, so nennen du, nicht? Du welche mitgebracht, Ca-pin-ta? Du versprechen!«
Kitten ließ die Plane wieder sinken und konnte so nicht sehen, ob Carpenter nickte.
»Wir sprechen später über die Ware«, beschied er jetzt jedenfalls den jungen Maori. »Aber erst sagt ihr mal haere mai zu Reverend Morton. Der kriegt ja sonst Angst. Und er will euch bestimmt nichts tun. Gehört nicht zu denen, die mit Feuer und Schwert missionieren, dazu hat der viel zu viel Schiss.«
Der Missionar sagte irgendetwas, es ging allerdings in vielen freundlichen Begrüßungslauten der Maori unter.
»Freund von Ca-pin-ta auch Freund von Ngati Toa!«, hieß Te Puaha den Missionar willkommen. »Aber jetzt wir begrüßen. Mädchen tanzen haka , Frauen machen Essen, du bringen Whiskey, ja?«
Kitten sank der Mut. Jetzt war es also so weit. Die Whiskeyflaschen lagerten neben dem Kohlfass. Um da heranzukommen, musste Carpenter die Plane lüften. Und tatsächlich tat das jetzt auch schon Te Puaha. Während draußen gelacht und gesungen wurde, hob der schwere Maori vergnügt die Plane – und starrte auf das Mädchen, das sich zwischen den Decken und Saatgutsäcken so klein wie möglich machte.
»He, Ca-pin-ta? Was gebracht da? Uns wollen verkaufen kleine Mädchen?«
Kitten hätte am liebsten die Augen geschlossen und gehofft, dann auch ihrerseits nicht gesehen zu werden, aber das wäre natürlich sinnlos und kindisch gewesen. Stattdessen richtete sie ihre schönen nussbraunen Augen auf den jungen Maori – und dann auf Carpenter, der gleich hinzukam.
»Ich glaub’s nicht!«, sagte er fassungslos, als er ihrer ansichtig wurde. »Wie kommst du denn hierher? Du … du bist doch aus der Piraki Bay, nicht? Das Mädchen, das sie versteigern wollten!«
»Versteigern Mädchen?«, fragte Te Puaha verwundert.
Um ihn herum hatten sich jetzt weitere Maori geschart, unter anderem Frauen und Kinder. Sie schienen nach Übersetzung zu verlangen. Te Puaha wechselte jedenfalls ein paar rasche Worte mit einer dunkelhäutigen, schlanken Frau mit langem schwarzem Haar und weichen Gesichtszügen, die trotz ihrer Tätowierung nicht bedrohlich wirkte.
Kitten nickte. »Nicht böse sein«, flehte sie den Händler an. »Ich wollte weg aus Piraki, und da hab ich mich in Ihrem Wagen versteckt, bevor Sie ihn aufs Schiff fuhren. Ich hab ein bisschen Sauerkraut gegessen … tut … tut mir wirklich leid … aber wenn Sie mich mitnehmen zu dieser Siedlung, dann … also ich such eine ehrliche Arbeit, und dann zahl ich es Ihnen zurück, und …«
»Jetzt komm erst mal raus!«, befahl Carpenter. »Du bringst mir die Kundschaft ganz durcheinander.«
Kitten kletterte zitternd vom Wagen. Dabei wagte sie erstmals, sich richtig umzusehen, und war erstaunt, sich in einem regelrechten Dorf zu befinden. Rund um den Platz, auf dem Carpenter gehalten hatte, standen schmucke Holzhäuser mit bunten Giebeln, die wie die verandaähnlichen Vorbauten mit hübschen Schnitzereien versehen waren. Sie waren verschieden groß und schienen unterschiedlichen Zwecken zu dienen. Vor einem dieser Häuser wurden Lebensmittel zubereitet, es schien eine Art Küchenhaus zu sein. Vor einem anderen standen lebensgroße Figuren, auch sie aus Holz geschnitzt und bunt bemalt. Das Lager von ein paar Wilden hatte Kitten sich anders vorgestellt.
Sie musterte nun auch die dunkelhäutigen, kräftigen, rundäugigen Menschen. Sowohl Männer als auch Frauen trugen breite, geschmückte Gürtel und Röcke, die aus Bändern bestanden und beim Gehen ein Geräusch erzeugten, das dem Schwirren eines Vogels ähnelte. Die
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