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Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)

Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)

Titel: Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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dem langen Tag, und die Aussicht, sich selbst eine Suppe kochen zu müssen, nachdem er zunächst Holz gehackt und den Ofen in seiner Kate angeheizt hatte, jagte ihm Schauer über den Rücken. Aber dann schalt er sich. Er wollte nicht unbescheiden sein, immerhin hatte er an diesem Tag überhaupt etwas verdient, was im Winter keine Selbstverständlichkeit war. Von dem Pfennig, den die Witwe für zwei Stunden Arbeit herausgerückt hatte, und den Gaben des Landwirts konnte er wieder ein paar Tage leben, ohne allzu sehr zu hungern. Wenn es auch ein lausiges Leben war, ein Leben, an dem seine Eltern und Geschwister gestorben waren und das auch an seinen Kräften zehrte.
    Natürlich war er jetzt noch jung und stark – selbst wenn er manchmal hustete, so spuckte er doch noch längst kein Blut, und er konnte auch schwerste Arbeit leisten, ohne in Atemnot zu geraten. Aber auf Dauer … Karl machte sich keine Illusionen. Ein Tagelöhner in Mecklenburg hatte keine hohe Lebenserwartung. Er dachte deshalb auch nicht mehr daran, zu heiraten und eine Familie zu gründen, obwohl er die Kate seiner Eltern als ihr Nachfolger günstig hatte mieten können. Die Verantwortung hätte zu schwer auf ihm gelastet. Karl selbst hielt es aus, zu hungern und zu frieren, aber er hätte keiner geliebten Frau dabei zusehen können. Und schon gar nicht Ida …
    Der Schneefall wurde heftiger und nahm Karl fast völlig die Sicht auf den Weg und das Dorf. Er nahm die Frau, die sich eben dick vermummt in einen wollenen Umhang aus der Zufahrt des nächstgelegenen Bauernhofes kämpfte, nur als Schemen wahr. Der Wind schien sie fast wegzuwehen, und obendrein schleppte sie einen erkennbar schweren Sack.
    Karl überlegte, ob er warten und ihr helfen sollte, obwohl es ihn in die Trockenheit seiner Stube zog. Dann erkannte er Ida – und fühlte sich erschauern. Eben noch hatte er an sie gedacht, und jetzt tauchte sie hier auf. Ein seltsamer Zufall, andererseits auch nicht zu merkwürdig. Schließlich dachte er ständig an Ida. Er wollte es nicht. Aber egal, was er tat und womit er versuchte, sich abzulenken: Ihr herzförmiges, schönes Gesicht schob sich doch immer wieder vor sein inneres Auge.
    »Grüß dich, Ida!«, rief er sie jetzt an, um sie auf sich aufmerksam zu machen. Im Schneetreiben hielt sie den Kopf schließlich gesenkt, sein plötzliches Auftauchen hätte sie vielleicht erschreckt.
    Ida blickte auf. Dicke Schneeflocken verwandelten ihre Augenbrauen und ihren dunklen Haaransatz in flaumiges Engelshaar. Sie lächelte schwach, als sie ihn erkannte.
    »Grüß dich, Karl!«, antwortete sie und warf ihren Sack von der linken über die rechte Schulter. »Ein fürchterliches Wetter, nicht?«
    Karl nickte. »Was tust du hier draußen?«, fragte er und griff nach dem Sack. »Lass mich das tragen, wir haben doch den gleichen Weg.«
    Ida trennte sich bereitwillig von ihrer Last, und Karl lief das Wasser im Munde zusammen, als er die Düfte wahrnahm, die aus dem Jutesack drangen. Schinken … frisches Brot …
    »Bauer Vieth hat geschlachtet. Und mein Vater hat … eine Versammlung anberaumt, heut Abend, bei Dunkelwerden. Da sollte ich ein paar Würste holen, die Männer zu bewirten. Eigentlich wollte ich längst zurück sein. Aber die Frau Vieth … sie hat erzählt und erzählt und erzählt, sie wollte mich gar nicht weglassen. Und jetzt ist es fast dunkel und schneit. Immerhin hat sie mir noch ein Brot geschenkt, weil ich ja nicht mehr zum Backen komme …«
    Karl seufzte. Die Häuslertochter wurde für einen Plausch mit der Bäuerin reicher beschenkt, als ein Tagelöhner für drei Stunden Arbeit entlohnt wurde. Seiner Mutter hatten die Bauern nie auch nur eine Scheibe Brot gegeben, ohne sie dafür schuften zu lassen.
    Er beschloss, an etwas anderes zu denken. Immerhin war sein Glückstag. Nicht nur, dass er Arbeit gehabt hatte, der Himmel gewährte ihm auch diesen gemeinsamen Weg mit Ida und ein richtiges Gespräch. Das hatten sie kaum noch führen können, seit er damals die Schule verlassen hatte – und Ida selbst nur ein knappes Jahr später. Sie trafen sich auch nur selten, besonders, nachdem Idas Mutter bei der Geburt ihres jüngsten Geschwisterchens gestorben war. Auf der dreizehnjährigen Ida hatte von einem Tag auf den anderen der gesamte Haushalt der Langes und die Pflege des kränklichen Babys gelastet. Sie hatte sich unendlich fürsorglich um das kleine Mädchen bemüht, aber es war seiner Mutter trotzdem nur ein halbes Jahr später in

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