Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
und Zuhälter würde frisches Blut genauso begeistert in Dienst nehmen wie Barker. Es war also besser für Kitten, sich nicht sehen zu lassen, sofern das irgendwie möglich war.
Das Land hinter der Station schien allerdings wunderschön. In unmittelbarer Nähe des Strandes war es etwas flacher als in der Piraki Bay, aber im Hintergrund taten sich schneebedeckte Berge auf und oberhalb des Strandes grüne Hügel. Auch die Flussmündung war jetzt zu erkennen. Der Fluss Wairau, an dem die Station lag, musste ein gewaltiger Strom sein. Floss er vielleicht auch durch die Siedlung, die Carpenter erwähnt hatte? Würde man in eine Stadt kommen, wenn man ihm folgte? Kitten überlegte, es zu versuchen, fürchtete sich jedoch zu Tode davor, sich allein in die Wildnis zu wagen. Zudem gab Carpenter ihr auch gar nicht erst die Gelegenheit, sich nach dem Anlegen aus ihrem Versteck zu schleichen. Obwohl der Reverend protestierte – er hätte wohl gern noch etwas in der Station verweilt und möglicherweise seine sogenannte Entspannung gesucht –, steuerte der Händler seine Pferde gleich vom Strand weg und folgte einem Weg am Fluss entlang.
»Hab hier mal Ärger gehabt«, gab er kurz Auskunft, als Morton ihn deswegen anging. »Der Betreiber der Station ist ein Gauner. Ich hab ihn mit einem ganzen Wagen Proviant versorgt, aber er meinte, es sei zu teuer. Und was sollte ich machen? Als ich auf meinem Preis beharrte, standen ganz schnell zwanzig wilde Kerle um mich rum, jeder davon einen Kopf größer als ich. Schließlich hat er mir nicht mal den Einkaufspreis bezahlt, ich konnte froh sein, mit dem Leben davonzukommen. Also mache ich jetzt, dass ich wegkomme, solange Captain Clayton noch da ist. Sonst räumen die Kerle mir noch mal den Wagen leer. Sie können natürlich gern bleiben, Reverend. Ich warne Sie allerdings: Wenn die Jungs hier was anderes zwischen die Zähne kriegen wollen als Fisch, und darauf haben sie garantiert Jieper, dann kochen die sicher auch mal einen Missionar …« Er lachte, und Kitten konnte sich die Miene vorstellen, die der Reverend bei diesen Worten aufgesetzt hatte.
Für sie gab es nun keine Gelegenheit mehr auszusteigen. Sie konnte nur hoffen, dass Carpenter den Wagen in eine weiße Ansiedlung steuerte. Diese Hoffnung zerschlug sich jedoch schnell, als Reverend Morton den Händler nach seinem Ziel fragte.
»Kommen wir heute denn noch in die Stadt?«, erkundigte er sich. »Ich meine … Sie sagten etwas von weißen Siedlern …«
Carpenter schnaubte. »Ich sagte etwas von der Gegend um die Tasman Bay, Reverend. Wenn Sie sich mal eine Karte Ihres neuen Wirkungsgebiets angesehen hätten, dann wüssten Sie, dass die wenigen von Weißen bewohnten Gegenden am anderen Ende der Cookstraße liegen. Fast schon an der Westküste, während wir fast noch an der Ostküste angelandet sind. Da müssten wir also einmal quer über die Insel. In einem Tag ist das nicht zu schaffen. Und was sollten wir da auch? Meine Kunden – und Ihre künftigen Schäfchen – leben im Inland. Te Rauparaha, der berühmte Häuptling, siedelt mit seinem Stamm am Wairau River. Und da fahren wir jetzt hin. Keine Ahnung, ob wir heute schon ankommen, aber morgen bestimmt. Sie können sich ja schon mal ein paar Gebete ausdenken. Oder ein paar Worte Maori lernen. Kia ora heißt guten Tag. Und willkommen haere mai . Ach ja, und ich glaube, ich sterbe heißt ka mate . Da gibt’s einen berühmten haka , einen Ritualtanz der Einheimischen. Können Sie dann ja singen, bis das Wasser kocht …«
Der Missionar protestierte heftig gegen die ständigen Anspielungen auf seine Furcht vor den Wilden, aber Kitten hörte ihm gar nicht erst zu. Sie war selbst von Angst erfasst. Carpenter fuhr direkt zu einem Maori-Stamm! Und spätestens, wenn er begann, seine Waren feilzubieten, würde er sie finden! Sie beschloss, sich jetzt, noch in relativer Nähe der Walfangstation, unauffällig aus dem Wagen fallen zu lassen, um sich dann irgendwie zu den Siedlungen am anderen Ende der Bay durchzuschlagen. Es rumpelte heftig auf den nicht befestigten Wegen, mit etwas Glück würde es den Männern auf dem Bock nicht auffallen, wenn sie absprang. Den Weg zu finden wäre auch nicht schwer, ein Blick unter der Plane hervor verriet ihr, dass sie immer noch am Fluss entlangfuhren. Die Ufer waren dicht bewaldet, die Vegetation viel üppiger als in der Piraki Bay. Riesige Baumfarne senkten ihre Wedel über den Fluss, Eisenbäume, umwuchert von Rata, ragten in den
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