Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Café passte sie erstaunlich gut. Sie sah hübsch und zufrieden aus in ihrer Dienstkleidung, einem adretten schwarzen Kleid mit Spitzenschürzchen und einem mondänem Spitzenhäubchen, das kokett auf ihrem blonden Haar saß. Nicht zu vergleichen mit der züchtigen gestärkten Haube, die in Raben Steinfeld zur Alltagskleidung einer jeden Frau gehörte.
»Ich habe die Raben Steinfelder gewarnt!«, sagte Karl und hob theatralisch die Hände, um sein Unschuldsplädoyer zu unterstreichen. »Aber man wollte ja nicht auf mich hören. Und man hat mich auch nicht eingeladen, beim Absaufen mitzubeten. Du drückst dich übrigens nicht gottgefällig aus.«
Betty kicherte. »Gott war da wohl gar nicht dabei!«, setzte sie ihre lästerliche Rede fort. Karl dachte daran, dass Ida sie jetzt zweifellos streng getadelt hätte. »Da hatten eher Flussgeister die Hände im Spiel. Meinte jedenfalls Cat. Oder die Pflegemutter von Cat. Die hat die Maori gewarnt, den Siedlern das Land zu verkaufen. Und die haben auch nicht auf sie gehört. Wie auch immer – ich wein Sankt Paulidorf keine Träne nach. Von früh bis spät arbeiten, und dann die Überschwemmungen. Und ich sollte Friedrich Hauser heiraten. Kannst du dir das vorstellen? Äh … oder soll ich weiter › Sie ‹ sagen?«
Betty sprach jetzt Deutsch und war dabei unwillkürlich zum Du übergegangen. In Raben Steinfeld wäre es ihr nie eingefallen, Karl Jensch zu siezen. Doch dieser gut gekleidete, selbstsichere junge Mann, der sich ganz selbstverständlich in ein Café setzte und sein Essen und seinen Kaffee zweifellos bezahlen konnte, hatte mit dem abgerissenen Jungen von damals wenig zu tun.
»Sag ruhig Du. Wir waren schließlich zusammen in der Schule – na ja, fast, du hattest gerade angefangen, als ich abgehen musste.« Karl lächelte. »Aber was machst du nun hier in Wellington? Ich wähnte dich mit deiner Familie in Australien. Seid ihr nicht alle gegangen und die Brandmanns auch?«
Betty zog einen Flunsch. »Das ist eine lange Geschichte«, sagte sie dann. »Und ich muss auch weiterarbeiten, Celine, das ist die Besitzerin des Cafés, guckt schon durch die Gardine, obwohl … sie ist sehr, sehr nett. Ich glaub, dass sie früher … Ach, das erzähl ich dir später! Meine Schicht geht noch eine Stunde. Wenn du solange hier Kaffee trinkst, können wir hinterher reden.«
Karl nickte. »Schön. Dann bring mir doch einen Kaffee und ein Stück Kuchen. Ich hab sowieso noch Briefe zu lesen.«
Er zog seine Post wieder hervor, während Betty davoneilte und kurz darauf eine dampfende Tasse Milchkaffee und etwas Blätterteiggebäck vor ihn auf den Tisch stellte.
»Bis gleich dann!«, sagte sie vergnügt und verzog sich nach drinnen.
Karl öffnete zunächst den Brief von Frederick Tuckett. Sein früherer Arbeitgeber berichtete anschaulich wie immer von seinen Verhandlungen mit den Maori über ein Stück Land in Otago. Seiner Ansicht nach war es ideal geeignet für die neue Stadt, die die Church of Scotland auf der Südinsel zu errichten plante. Allerdings hatte er eben von den Zahlungsschwierigkeiten der New Zealand Company gehört und ärgerte sich auch schon wieder darüber, dass man ihn geradezu darum ersuchte, die Maori über den Tisch zu ziehen.
Ich glaube, ich gebe auf und kehre nach England zurück , endete schließlich sein Brief, den er in Nelson aufgegeben hatte. Oder zunächst nach Australien, da hätte ich auch ein interessantes Angebot. Haben Sie vielleicht Interesse, mitzukommen und wieder für mich zu arbeiten? Sie zeigten ja stets große Anteilnahme am Schicksal einiger Siedlerfamilien, die nach jenem Desaster in Sankt Paulidorf nach Australien weiterwanderten. Unter Umständen könnten Sie da erneut Kontakt aufnehmen.
Karl rieb sich die Schläfe. Diese Einladung kam nun wirklich unerwartet! Bisher hatte er es immer als illusorisch angesehen, Ida nachreisen zu wollen. Aber im Gefolge von Tuckett wäre es – nun ja, es wäre zumindest eine Ausrede, wider alle Vernunft seinem Herzen zu folgen. Und vielleicht stand ja auch Elsbeth in Kontakt mit ihrer Schwester und konnte ihm wenigstens Anhaltspunkte dazu liefern, wo er Ida finden konnte.
Karl verbrachte ein paar selige Minuten in einem Tagtraum, in dem er durch eine Art Nachbau von Raben Steinfeld wanderte, bis ihm Ida strahlend entgegenflog und ihn begrüßte wie einen Retter. Dann befahl er sich, vernünftig zu sein. Ida war verheiratet, ihr Leben war geordnet. Karl hatte kein Recht darauf, ihren Frieden
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