Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
unten im Tal der Moutere über die Ufer trat.
Fakt ist jedenfalls, dass Moutere Valley als Überschwemmungsgebiet bekannt war – Captain Arthur Wakefield hatte sich ungeeignetes Siedlungsland aufschwatzen lassen, sicher einer der Gründe für sein schlechtes Verhältnis zu Te Rauparaha. Den deutschen Siedlern gegenüber mag man die Sache etwas beschönigend dargestellt haben, aber eigentlich hätten sie wissen müssen, auf welche Risiken sie sich mit der Gründung ihres Dorfes am Moutere River einließen. Die Szene mit Karl vor der Gemeindeversammlung in der Scheune ist zwar fiktiv, Tatsache ist jedoch, dass der Landvermesser Frederick Tuckett von der Besiedelung des Landes dringend abriet und sich über die Zuweisung der Parzellen an die Deutschen erbost zeigte. Darüber, was die Siedler bewog, sämtliche Warnungen in den Wind zu schreiben, kann man nur spekulieren.
Wahrscheinlich war es ganz ähnlich, wie in meiner Geschichte geschildert: Die Einwanderer befürchteten den Verlust ihrer nationalen Identität und handelten überstürzt, um eine Assimilation an die englische Gemeinde Nelson zu verhindern. Hinzu dürfte ihr Glaube an die Gottgefälligkeit des eigenen Tuns gekommen sein, obwohl die Altlutheraner längst nicht so streng und fanatisch waren wie etwa die Vertreter der Church of Scotland oder die Buren in Südafrika. Tatsächlich ging es in ihren Gottesdiensten sogar eher zwangloser zu als in denen der Reformierten, es wurde zum Beispiel mehr gesungen. Dennoch dürfte die Atmosphäre in Sankt Paulidorf von Frömmlertum und der Härte der Gemeindevorsteher geprägt gewesen sein. Es gehört schließlich ein gehöriges Maß an Sturheit und blindem Gottvertrauen dazu, aus Glaubensgründen alle Warnungen vor Naturkatastrophen zu ignorieren.
Zum Leben in Sankt Paulidorf gibt es vielfältige Quellen und Chroniken, leider oft mit sehr unterschiedlichen Angaben zu Zeiten, Entfernungen und wichtigen Ereignissen. Ich habe mir die Freiheit genommen, jeweils die »Fakten« in die Geschichte einzubauen, die am besten passten, aber natürlich stimmen die Basisdaten: Sankt Paulidorf wurde im August 1843 gegründet und gut ein Jahr später nach der schwersten von (je nach Quelle) drei oder vier sintflutartigen Überschwemmungen wieder aufgegeben. Darüber hinaus konnte ich viele Einzelheiten zusammentragen, die meine Schilderungen des Lebens in Sankt Paulidorf hoffentlich authentisch machen. Chasseur, der zum Rattenjagen angeschaffte, aber nicht sonderlich effektiv arbeitende Hund, ist zum Beispiel eine »historische Persönlichkeit«. Nur seine spätere Karriere als Hütehund habe ich ihm angedichtet.
Nach der Aufgabe von Sankt Paulidorf zerstreute sich, wie im Text geschildert, die Gemeinde. Während einige Familien sich den neuen Lebensumständen in dem fremden Land anpassten, gingen andere tatsächlich nach Australien – einige kehrten später zurück, um sich den florierenden deutschen Gemeinden Rantzau und Sarau anzuschließen.
Die ersten Schafe kamen 1843/44 auf die Südinsel Neuseelands. Entweder mit den Greenwood-Brüdern (in diesem Buch wegen der Namensgleichheit mit George Greenwood aus meinen früheren Romanen in Redwood-Brüder umgetauft) oder den Deans-Brüdern. Wahrscheinlich kamen die Greenwoods und die Deans etwa gleichzeitig auf den Gedanken, den neuen Wirtschaftszweig Schafzucht in den Canterbury Plains zu etablieren. Anfänglich hatte man dabei tatsächlich vor allem Käse- und Fleischproduktion im Auge, dann explodierten durch die aufstrebende Textilindustrie in England die Wollpreise. Die Canterbury Plains mit ihren endlosen Weideflächen wurden rasch zu einer Hochburg der Schafzucht Neuseelands, viele Farmer sammelten große Vermögen an.
Vorbild meiner Schaffarm Fenroy Station war das Unternehmen der Deans-Brüder, die zumindest anfänglich auch mit anderen Familien als Teilhaber arbeiteten. Die Landnahme – die an die Maori gezahlten Pachtpreise entsprechen der Realität – und der Aufbau der Schafzucht mit Tieren aus Australien, von der Nordinsel oder aus Europa mag sich also so oder ähnlich vollzogen haben.
Und auch mein erster Viehdiebstahl in den Plains, im Buch begangen durch Ottfried, hat historische Vorbilder: 1844 wurden die Greenwoods in Purau Opfer des ersten Raubüberfalls in Neuseeland. Als Täter entpuppte sich eine kriminelle Vereinigung namens Blue Cap and his Gang.
Völlig fiktiv sind dagegen mein geschäftstüchtiger Maori-Häuptling Te Haitara und seine Schafzucht.
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