Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Sie holte sich keine neuen englischen Wörter mehr ab, und sie suchte auch nie mehr Karls Blick, wenn sie zur Freistunde an Deck waren. Die meiste Zeit verbrachte sie ohnehin in ihrer Kabine. Karl hätte sich für seinen Vorstoß in Bahia selbst ohrfeigen können. Auf dem Schiff hatte sich ihre Beziehung so schön entwickelt, mit seinem übereilten Antrag und seinem Kuss hatte er alles zerstört.
»Das ist diese Gefängnisinsel, aber keine Sorge, wir gehen nicht an Land. Wir segeln zwischen Van-Diemens-Land und Australien durch«, gab Hein gelassen weiter Auskunft. »Und dann noch knapp tausend Meilen, und es ist geschafft. Dann sind wir in Nelson. Du solltest mal überlegen, ob du wirklich dableiben willst. Machst dich gut hier auf dem Schiff. Ich wette, der Kapitän nimmt dich mit Kusshand, wenn du anheuern willst!«
Karl lachte. Er amüsierte sich über das Lob, aber natürlich lehnte er ab. Sein Leben auf einem Schiff zu verbringen konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Er freute sich schon darauf, wieder Land zu bearbeiten, auch wenn es erneut nicht sein eigenes sein würde.
Die Auswanderer hatten alle danach gefiebert, einen ersten Blick auf ihre neue Heimat werfen zu können, doch als die Sankt Pauli in Nelson anlegte, war es tiefste Nacht. Die meisten Siedler verschliefen die Ankunft und schauten am frühen Morgen verblüfft auf die schlichten Holzhäuser, die das Hafenbecken säumten. Keine verspielte Architektur wie in Bahia, sondern zweckmäßige hübsche Giebelhäuschen, meist zweistöckig, mit Veranden davor oder mit einem Ladenlokal im Erdgeschoss. Sie waren durchweg ziemlich neu und bunt gestrichen, meist in Pastellfarben, Blau und Gelb überwogen. Um den Hafen herum führte ein Pier, von dem kleine Straßen abgingen, akkurat angelegt, anheimelnd und sauber. Die Menschen begannen gerade mit ihrem Tagewerk, und ihr Anblick beruhigte sogar Frau Brandmann, die sich seit dem Aufenthalt in Bahia um die Begegnung mit »Eingeborenen« sorgte. Die Bürger von Nelson waren weiß und kleideten sich nicht anders als die Auswanderer. Die Männer trugen Anzüge oder Drillichkleidung, die Frauen adrette Kleider, Schürzen und Hauben. Sie schützten sich mit Schals vor der Winterkälte, die hier allerdings nicht annähernd ein Ausmaß erreichte wie in Mecklenburg. Lediglich auf den Berggipfeln, die man in der Ferne erkannte, lag Schnee.
»Wann können wir von Bord?«, erkundigte sich Lange ungeduldig bei Kapitän Schacht, der an Deck mit dem Hafenmeister verhandelte. »Ich möchte so bald wie möglich unser Land sehen, wir wollen …«
Der Kapitän machte eine beschwichtigende Handbewegung und lächelte. »Nur die Ruhe, Herr Lange! Tatsächlich ist Herr Beit schon heute Morgen vor Tau und Tag aufgebrochen, um Arthur Wakefield aufzusuchen. Das ist der Stadtgründer von Nelson und Beauftragter der Neuseelandkompanie. Er dürfte Ihnen Ihre Parzellen in den nächsten Tagen zuteilen. Bis dahin soll Ihnen Wohnraum in Nelson zur Verfügung gestellt werden. Aber so genau weiß ich das alles nicht. Haben Sie einfach noch ein wenig Geduld, und danken Sie Gott für die ruhige und verhältnismäßig glückliche Überfahrt.«
Auf der fast sechsmonatigen Reise waren lediglich sechs Kinder gestorben. Tragisch, doch ein recht niedriger Blutzoll, der an die See zu entrichten war. Auf vergleichbaren Reisen gab es meist wesentlich höhere Verluste an Menschenleben.
Da die Missionare mit Beit von Bord gegangen waren, versammelten schließlich Lange und Brandmann die Siedler zu einem improvisierten Gottesdienst, aber so recht waren sie nicht bei der Sache. Die Männer fieberten Beits Rückkehr entgegen – und waren äußerst beunruhigt, als sie ihm schon von Weitem ansahen, dass er vor Wut schäumte.
»Was ist jetzt mit unserem Land?«, ging Lange ihn sofort an, als er den Fuß auf die Gangway zum Schiff setzte. »Können wir gleich …?«
Beit schüttelte den Kopf. »Es gibt kein Land!«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. Eine Ader auf seiner Stirn pochte, er war erkennbar empört. »Es tut mir leid, ich bin darüber ebenso enttäuscht und verärgert wie Sie. Aber vor Kurzem sind neue Siedler aus England eingetroffen, und Wakefield hat ihnen das für uns vorgesehene Land zugeteilt. Jetzt müssen …«
Seine Worte gingen in den empörten Ausrufen der Siedler unter.
»Kein Land?«
»Man hat uns betrogen!«
»Was ist mit unserem Geld?«
Die ersten Frauen und Kinder brachen in Tränen aus. Beit hob die
Weitere Kostenlose Bücher