Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Läufe, so atemberaubende Melodien gehört. Ihr Herzschlag beschleunigte sich im Rhythmus der Musik, sie wünschte fast, dazu tanzen zu dürfen.
Die Bevölkerung Bahias erwies sich als freundlich und aufgeschlossen. Sehr bald erschienen Neugierige in der improvisierten Siedlung der Deutschen, auch Frauen und Mädchen in bunten Kleidern, die Obst und Gemüse verkauften. Ida bestaunte ihre durchbohrten Ohrläppchen, in denen goldene oder farbige Ringe hingen, und ihre großen, bunten Ketten und Armbänder, die klapperten, wenn sie lebhaft gestikulierten. Fliegende Händler boten Früchte und gebratene Krabbenküchlein an, und die Matrosen zeigten den Siedlern, wie man Fische fing und gleich am Strand über dem offenen Feuer briet. Sie schmeckten köstlich, besonders, wenn man sie mit Zitronensaft beträufelte – ganz anders als die Karpfen aus dem Dorfteich in Mecklenburg oder die Stinte, die Anton manchmal heimlich aus dem See des Junkers geholt hatte.
Auch die anderen Siedler begannen jetzt nach und nach, die knappen Essensrationen, die Beit ihnen zukommen ließ, mit Früchten und anderen frischen Lebensmitteln aufzustocken. Die Frauen betrachteten misstrauisch die tropischen Früchte, und Ida hätte sich fast verraten, als sie prompt Anstalten machten, die Mangos und Bananen mit Schale zu verspeisen. Karl zwinkerte ihr von Weitem zu, derweil sie die Früchte fachmännisch schälte und so tat, als wäre die Idee dazu ihr selbst gekommen.
Die Einheimischen gingen eigentlich immer barfuß, worüber die meisten Siedlerfrauen sich endlos empören konnten, Ida reizte dies jedoch, auch selbst einmal verstohlen Schuhe und Strümpfe auszuziehen und mit bloßen Füßen über den Strand zu gehen. Der Sand war warm unter den Sohlen, kitzelte zwischen den Zehen … und das Gefühl, dann ins Meer zu waten und die Füße von den Wellen umspielen zu lassen, war einfach unbeschreiblich. Ida hatte sich noch nie so leicht und glücklich gefühlt wie an diesem Strand westlich von Salvador.
Die anderen Siedler teilten die Leichtigkeit allerdings nicht, sondern hielten an den Regeln und Gepflogenheiten des Mecklenburger Dorflebens fest, so weit es eben ging. Viele von ihnen fühlten sich auch unsicher. Beits Warnungen vor Räubern und Mördern machten sie misstrauisch gegen alle Brasilianer, und das fremde Essen, die ungewohnten Zutaten und Zubereitungsarten schlugen ihnen angeblich auf den Magen. Jakob Lange untersagte seinen Kindern streng, Essen von den Einheimischen anzunehmen, er schien zu befürchten, die fliegenden Händler wollten sie vergiften. Frau Brandmann scheuchte sogar die Kinder der Einheimischen fort, die sich neugierig ihren Feuern näherten. Dabei waren die dunkelhäutigen Kleinen mit ihrem krausen Haar sehr niedlich.
»Neger!«, sagte Ida fasziniert, als sie die nackten Kinder der Einheimischen in den Wellen spielen sah.
»Neger!«, entsetzte sich Frau Brandmann. »Wie kommt es nur, dass der Dreck von ihrer Haut nicht abgeht?«
Allgemein klagte man über das Fehlen einer Kirche, aber die Missionare hielten Messen und Gebetsstunden am Strand ab. Sie dankten Gott für die bisher recht sichere Reise, und die Auswanderer sangen gemeinsam Lieder aus der Heimat. Ein paar Frauen weinten, sie schienen jetzt schon unter Heimweh zu leiden. Stundenlang erzählten sie einander von ihren Dörfern und ihren Familien, während sie wie einst in Mecklenburg zusammensaßen und die Löcher in den Strümpfen ihrer Lieben stopften. Die künftige Gemeinde Sankt Paulidorf schweißte das alles noch enger zusammen.
Nur Karl blieb weiter ausgegrenzt, und so gelang es ihm auch erst eine Woche nach der Ankunft in Bahia, mit Ida ins Gespräch zu kommen. Die Frauen holten Trinkwasser aus einem Bach, der im Wald oberhalb des Strandes floss, und ausnahmsweise hatte Ida niemand begleitet, als sie sich gegen Abend entschloss, ihre Trinkwasservorräte noch einmal aufzufüllen. Karl traf sie am Bach und nahm ihr die Eimer ab.
»Good afternoon, Ida!« , sagte er. »Can I help you?«
Beide strahlten, als sie korrekt mit thank you antwortete.
»Oh, Karl, ich hätte nie gedacht, dass es so schön werden würde!«, brach es dann aus Ida heraus.
Bislang hatte sich niemand gefunden, der von Bahia derart begeistert war wie sie. Die anderen Siedler schimpften ja eher über den Sand, den man unweigerlich in die Hütten trug, die schweißtreibende Hitze – und die faulen Einheimischen, die um die Mittagszeit jede Arbeit sinken ließen und sich zum
Weitere Kostenlose Bücher