Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
begehrte Wakefield auf. »Wir könnten dann gleich …«
Chris hatte nur noch den Wunsch, diesen Mann zu schlagen. Egal, ob er sein Vorgesetzter war und ein verdienter Soldat, Beauftragter der New Zealand Company oder Stadtgründer. Für ihn war der Captain nur ein dummer, herzloser Ignorant.
»Herrgott, nun hören Sie doch endlich auf!«, fuhr er ihn an. »Verstehen Sie nicht? Die verhandeln nicht über fünfzig oder hundert Pfund Wergeld – da geht es um unsere Köpfe! Te Rangihaeata will uns töten lassen!«
»Wer war sie?«, wandte er sich leiser an Cat, als Wakefield erschrocken schwieg, und wies auf die tote Frau. »Sie hat dir viel bedeutet, nicht?«
»Meine Pflegemutter«, sagte das Mädchen mit spröder Stimme. »Te Ronga. Die Tochter Te Rauparahas und die Ehefrau Te Rangihaeatas. Sie war unser aller Mutter, unser aller Tochter … sie sprach mit den Geistern …«
Chris stöhnte. »Bitte glaub mir mein ehrlich empfundenes Beileid«, sagte er. »Das hätte nicht passieren dürfen.«
Cat nickte. »Es war nicht deine Schuld«, sagte sie. »Und ich glaube, auch von denen da hat keiner geschossen.« Sie wies auf die gefangenen Engländer. »Der Landvermesser hatte ja nicht mal eine Waffe. Und die meisten anderen habe ich gar nicht gesehen, die saßen also weiter hinten, sie hätten zwischen ihren Kameraden hindurchzielen und schießen müssen. Aber ob die Ältesten es auch so sehen …«
»Wann wird das Urteil fallen?«, fragte Chris.
Cat zuckte die Schultern. »Irgendwann in der Nacht. Sie reden jetzt … Du kannst nur warten …«
Chris lehnte sich zurück. Seine Handgelenke schmerzten, er saß unbequem auf dem harten Boden, und er fürchtete sich vor der Entscheidung der Häuptlinge. Doch er konnte trotzdem nicht aufhören, die junge Frau anzusehen. Ihre Augen waren von sattem Braun, manchmal schienen auch helle bernsteinfarbene Lichter darin aufzuleuchten, die miteinander tanzten.
»Du hast das gut gemacht«, wagte er zu sagen. »Die Übersetzung. Wir … wir waren auf einem guten Weg.«
Cat nickte traurig. »Es ist alles schiefgegangen. Te Ronga würde sagen, wir haben die Götter erzürnt, indem wir das powhiri abgekürzt haben. Aber eure Leute … sie haben nicht mal den karanga abgewartet …«
Der karanga , der Schrei der ranghöchsten Frau im Stamm der Gastgeber, schloss die Begrüßungszeremonie ab und knüpfte ein Band zwischen den Göttern und den beiden Stämmen.
»Te Ronga hätte ihn ausgestoßen?«, fragte Chris.
»Das hätte sie getan«, meinte Cat. »Sie wollte immer nur Frieden.«
Damit erhob sie sich. Und bevor Wakefield, der sich eben wieder fasste, erneut das Wort an sie richten konnte, sah sie den Captain unnachsichtig an. »Man wird es euch im Morgengrauen sagen, solange könnt ihr ja beten …«
Christopher verbrachte schließlich eine höllische Nacht, frierend und gefesselt in einem umzäunten Bereich etwas abseits vom Dorfplatz. Der Boden war dort nicht so hart wie auf dem Versammlungsplatz, aber frisch umgegraben und feucht. Wahrscheinlich ein Acker oder ein Garten, der auf die Bepflanzung wartete. Christopher fragte sich ängstlich, ob er am Morgen womöglich mit Blut gedüngt würde.
Man hatte die Gefangenen dort hinübergetrieben, weil sie in einem Pferch leichter zu bewachen und zudem aus dem Weg für die Trauerfeiern waren, die auf dem Versammlungsplatz vorbereitet wurden. Die Frauen des Dorfes sangen die ganze Nacht Beschwörungen und Klagelieder. Selbst die Gefangenen, die nicht über die Lebensgefahr informiert waren, in der sie schwebten – Wakefield und Fenroy hatten stillschweigend beschlossen, Einzelheiten über die Versammlung der Maori nicht allgemein bekannt zu geben –, machten kein Auge zu.
Cat erging es nicht sehr viel besser. Sie hätte eigentlich helfen müssen, Te Ronga aufzubahren, aber sie konnte sich nicht von dem Versammlungshaus trennen, in das die Dorfältesten sich zurückgezogen hatten. Unglücklich kauerte sie auf dem Boden in seinem Schatten, wickelte sich in eine Decke und fühlte sich erneut so verlassen und verzweifelt wie damals nach dem Tod von Frau Hempelmann. Doch dieses Mal kam noch eine Sorge hinzu: Sie fürchtete sich davor, am Morgen nicht nur an einer Beerdigung, sondern womöglich auch an neunzehn Hinrichtungen teilnehmen zu müssen. Cat hatte es Chris nicht gesagt, sondern ihm Hoffnung gelassen, aber sie selbst kannte Te Rangihaeata: Wenn sich der Häuptling etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann hatte ihn
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