Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
ein. Er forderte Besonnenheit, während Thompson jetzt wirklich nach dem Arm des Häuptlings fasste. Es kam zu einem Handgemenge, und die Männer um Tuckett beobachteten entsetzt, dass er nach seiner Waffe griff.
»Bitte bleiben Sie ruhig!«, übersetzte Cat verzweifelt ein paar sehr scharfe Worte Te Rauparahas. Te Puaha warf ihr einen Blick zu, der zwischen Bedauern und Tadel schwankte.
»Der Häuptling Sie warnen!«, übernahm er seinerseits die Übersetzung. »Sie ihm nicht drohen!«
Te Rauparaha schob die Hand unter sein Gewand und rief etwas. Anscheinend eine weitere Warnung. Karl fiel siedend heiß ein, was Fenroy über die Bewaffnung der Maori gesagt hatte. Griff der Häuptling da eben nach einer Waffe?
»Männer! Bajonette aufsetzen!«, brüllte Thompson, als sich die ersten Maori-Krieger vorschoben, um ihren Häuptlingen zu Hilfe zu kommen.
Karl fühlte sich hilflos. Er wollte auf keinen Fall schießen, aber um ihn herum wurden Pistolen gezogen und Bajonette auf Gewehre gepflanzt.
»Vorwärts, Engländer!«, schrie Wakefield.
»Warten Sie!«
»Nun warten Sie doch! Wir wollen hier keinen Krieg entfesseln!«
Karl hörte die beschwichtigenden Stimmen von Fenroy und Tuckett, Cat und Te Puaha.
Die pakeha schienen daraufhin tatsächlich zu zögern. Dies war ja keine ausgebildete Truppe von Berufssoldaten, sondern ein zusammengewürfelter Haufen von Glücksrittern und Siedlern. Auf einen einzigen halbherzigen Befehl hin stürzten die sich nicht ins Gefecht mit einer Horde riesiger Maori-Krieger.
Doch dann fiel ein Schuss.
KAPITEL 4
Die Zeit schien einen Herzschlag lang stillzustehen, als Cats Welt in Trümmer fiel.
Dabei war ihr kurz zuvor noch alles gefährlich, aber beherrschbar erschienen, und der Umgang mit diesem Dummkopf Thompson fast ein Spiel zwischen ihr und diesem netten braunhaarigen Übersetzer der pakeha . Chris Fenroy hatte gleich begriffen, wie man es spielen musste, und wenn dieser Thompson auch nur ein bisschen einsichtig gewesen wäre, so hätten die zwei tohunga die Sache schon zu einem guten Ende geführt. Doch nun? Zuerst Kriegsgeschrei auf beiden Seiten und dann der Schuss – und Te Ronga, die ein ersticktes Stöhnen von sich gab, sich an die Brust fasste und dann lautlos neben Cat und Te Rangihaeata zusammenbrach.
Cat verstand nicht sofort, was geschehen war, oder wollte die Wahrheit einfach nicht annehmen. Sie starrte auf die Szenerie, in der sich plötzlich nichts mehr zu bewegen schien. Auf ihre leblose Pflegemutter, auf deren Brust sich jetzt ein roter Fleck ausbreitete. Auf Fenroy, der genauso fassungslos schien wie sie selbst – und auf die pakeha , aus deren Reihen der Schuss gekommen war, ohne dass Cat den Schützen ausmachen konnte.
Aber dann drehte die Welt sich weiter. Frauen weinten, Männer schrien, und Te Rangihaeata fiel neben seiner Frau zu Boden. Er riss sie in die Arme und begann mit seiner Totenklage.
»Hei koni te marama. Hei koni te ra. Haere mai te po.«
Leb wohl Licht, leb wohl Tag, willkommen ist das Dunkel des Todes .
Die verzweifelte Stimme des Häuptlings erhob sich über den Tumult, der inzwischen den Dorfplatz beherrschte. Frauen und Kinder flohen in die Häuser, Musketen knallten, Männer rannten und brüllten Befehle – zum Angriff oder zur Flucht. Die meisten der Siedler drehten sich beim Anblick der sterbenden Frau und der angreifenden Maori-Krieger auf dem Absatz um und rannten in Richtung Schiff.
Officer Thompsons und Captain Wakefields Versuche, die Männer zu sammeln und zu entschlossener Gegenwehr oder geordnetem Rückzug zu bewegen, waren hoffnungslos. Unter den pakeha herrschte nackte Panik – und die Maori trieb wilde Rache.
Karl folgte Ottfried, der die allgemeine Erstarrung als einer der Ersten überwunden und sich zur Flucht gewandt hatte. Fenroy mochte noch vermitteln wollen, aber Karl genügte ein Blick in die Gesichter der Maori, um zu wissen, dass hier keine Diplomatie mehr griff. Und er sah Mündungsfeuer auf der anderen Seite aufblitzen. Bei den Engländern hatte nur einer seine Muskete abgefeuert, die Maori-Krieger konterten jedoch mit einem Kugelhagel. Selbstverständlich hatten sie Waffen, und wahrscheinlich übten sie sich weit häufiger in ihrem Gebrauch als die Siedler. Karl jedenfalls nahm seine Muskete gar nicht erst aus dem Halfter. Das hätte viel zu viel Zeit gekostet. Und sich dann auch noch in Gegenwehr zu versuchen …
Während er den Weg hinunter zum Anleger rannte, sah er Männer um sich herum fallen
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