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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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Vogel und begann ihn zu rupfen - dann legte er ihn wieder weg und machte eine kraftvolle Bewegung, indem er die rechte Hand zur Faust ballte, mit der Linken das rechte Handgelenk ergriff, und den rechten Unterarm ruckartig bis zum Ellenbogen durch den Griff seiner Linken jagte. „Mann stoßen mit Lanze in Frau!“, erklärte er und wiederholte die Geste. „Mit Kraft und starke Geist ... bis kommen Pele aus Spitze von Lanze ... das ... Pelelle!“
    Ionech nahm den Vogel wieder auf und rupfte weiter.
    „Pele machen Kinder?“, wollte Feuerhaar völlig verdutzt wissen.
    „Nein“, antwortete Ionech, „Pele laufen aus Grotte wieder raus ... Pele Zeichen für gute Pelelle ... Mutter von Leben, Chre-lie-ma-be, geben Lebensfeuer von Kind in Bauch von Frau, nur wenn Pelelle gut. - Ohne Pelelle kein Kind!“
    Roter Wolf kratzte sich verlegen am Hinterkopf. War das ein Beweis des großen Zaubers der Riesen? Ein Irrglaube!? Aber dann erinnerte er sich an ihre Kleidung, ihre Speere, ihre Schleudertechnik; sogar die Schleudernden Steine stammten von ihnen. Sie waren es, die seine Ahnen aus dem Tal der Ahnen vertreiben konnten. - Er wagte es nicht zu widersprechen und schwieg.
    „Gro-mans-alta-noi wissen viel“, fuhr Ionech schließlich fort, „Zauber von Gro-mans-alta-noi stark. Vielleicht ...“, Ionech sah sich um, „ ...Kan-dra wissen, wo wir jetzt!“ Er stand auf, entfernte sich humpelnd und staksend vom Feuer und verschwand hinter einem Baum. Kurz darauf verbreitete sich der Geruch von frischem Kot, und Feuerhaar legte Holz nach.
    Als Ionech zurückkam und sich wieder ans Feuer setzte, sah er, daß die Zwillinge in Gedanken versunken waren. An ihren ernsten Mienen erkannte er, daß seine Worte etwas ausgelöst hatten, das ihre Anschauung der Welt, ihre Glaubensordnung erschütterte. - Er zog es vor, ebenfalls zu schweigen und ließ zu, daß Erinnerungen hochkamen; Erinnerungen, die schmerzten; Erinnerungen, die er längst vergessen geglaubt hatte. Vor seinem geistigen Auge sah er das Bild, das sich ihm geboten hatte, als er und Ruhnocko damals von der Jagd zurückgekehrt waren. Die blanken Schädel, zerbissenen Knochen, Kopfhäute, ausgewürgte, unverdaute Haarknäuel; Kleidung und Utensilien des täglichen Gebrauchs waren alles, was von den Menschen seines Stammes geblieben war. Zunächst konnten sie nicht verstehen, was geschehen war - dann fiel ihnen auf, daß nützliche Gegenstände, vor allem aber die wertvollsten davon fehlten. Sie begriffen, daß das Lager von Menschen angegriffen worden sein mußte. Deshalb gaben sie die Hoffnung, daß einige der jungen Frauen vielleicht noch lebten und nur verschleppt worden waren, nicht auf. Aber der frische Schnee hatte alle Spuren unter sich begraben. Also verpackten sie Schädel, Kleidung, alles was sie fanden, das zu den Menschen ihres Stammes gehört hatte, in Felle, schnürten diese zu Säcken, luden sich die auf ihre Schultern und verließen den Ort des Todes - die letzte Lagerstätte ihres Stammes, die, bei jeder Erinnerung daran, noch lange ein grausiges Unbehagen in ihm weckte. Er hatte beschlossen, nie wieder dorthin zurückzukehren.
    Ruhnocko und er suchten im Gebiet der Winterlager nach Überlebenden, stromaufwärts, entlang des großen Flusses. Ionech wußte, daß während der Warmzeit, in Richtung des Großen Himmelsfeuers zur Mitte des Tages, ein anderer Stamm tief im Bergwald lebte. Begegnungen mit den Menschen dieses Stammes waren selten; er selbst hatte diese Menschen nur dreimal in seinem Leben gesehen. Das erste Mal war er noch ein Kind gewesen; da waren sie gekommen, um zu tauschen; das zweite Mal war es nur eine flüchtige Begegnung gewesen, mit einer kleinen Gruppe Jäger, die wahrscheinlich, so wie es damals auch der junge Jäger Ionech mit den Jägern seines Stammes tat, umherstreiften und jagten. Von Erzählungen der älteren Jäger und den Geschichten der Alten wußte er von weiteren Begegnungen, die nicht immer friedlich verlaufen waren. Das bezeugten vor allem die alten Geschichten aus der Zeit der Ahnen, die von Frauenraub, Streitigkeiten um Beute und Territorialkämpfen berichteten.
    Die dritte Begegnung ereignete sich eine Warmzeit vor dem Angriff auf seinen Stamm. Er und Ruhnocko waren auf eine kleine Gruppe Frauen gestoßen: Eine Alte, eine Frau mit Säugling und eine Kindfrau, die am Ufer eines Baches Wasser schöpften. Das Lager ihres Stammes mußte ganz in der Nähe gewesen sein. Sich dessen bewußt, was passiert wäre, wenn man ihn

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