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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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der Grund für dieses seltsame Verhalten war, Maramir hielt es für ratsam, gemeinsam mit Kar gewohnte Tätigkeiten aufzunehmen. Sie glaubte, am klügsten wäre es, nicht unnötig aufzufallen und sich dem Verhalten der Spitzgesichter anzupassen. - Und so taten sie es ...
     
    In der Dämmerung des folgenden Abends begann die Totenfeier. Mit handlichen, keulenartigen Knochen schlug eine der Alten in wildem Takt das Schulterblatt eines Mammuts, so daß zunächst nur ein dumpfes Trommeln erklang ... bis einige Frauen und Männer leise zu summen begannen. Aus den unterschiedlichen Stimmen entstand allmählich eine zähe Melodie. Einzelne flochten einen klagenden Sprechgesang ein. So schufen sie eine schwermütige Stimmung. Ein großes Feuer brannte in der Mitte des Lagers, und vor dem Feuer auf dem Boden lag der Leichnam. Schließlich brachte man die Tochter der Toten herbei und zwang sie vor dem leblosen Körper auf die Knie. Die Frauen des Stammes begannen nun, schwerfällig zu tanzen. Obwohl Maramir die Sprache der Spitzgesichter nicht verstehen konnte, so wußte sie doch ihre Bewegungen während des Tanzens zu deuten. Sie schilderten Erlebtes, berichteten vom Weg ins Reich der Toten und von einem mächtigen Wesen, das über die Lebenden und die verstorbenen herrschte.
    Maramir sah, wie Angst den zarten Körper des Mädchens lähmte. Es weinte und bemühte sich darum, die kniende Stellung zu halten. Auch Männer erhoben sich jetzt zum Tanz. Ihre Bewegungen zeugten ebenfalls von der Verehrung jenes mächtigen Wesens, aber ihre Körper sprachen mitunter von der Jagd und dem Töten. Und über allem wachte die Knochenfrau. Sie saß auf einem Felsen und überblickte von dort das Geschehen mit großer Aufmerksamkeit. Die tödlichen Waffen in den Händen der Männer zogen bedrohliche Kreise, und während sie tanzten, richteten sie diese immer deutlicher gegen das Kind. Maramir, die nicht verstand, was das zu bedeuten hatte, lenkte ihr Augenmerk auf Lächelndes Spitzgesicht und Feuerauge. Beide saßen, sichtlich betrübt, am Rand des Platzes. Immer öfter sah Lächelndes Spitzgesicht jetzt nervös, beinahe flehentlich, in Maramirs und Kars Richtung. - Da wurde ihr mit Entsetzen bewußt, was passieren würde ... Sie fing an, die Spitzgesichter zu hassen. Die rasch anschwellende Wut schmerzte in ihrem Bauch; Wut, die Feuerauge und Lächelndes Spitzgesicht galt, weil sie nichts dagegen unternahmen.
    Im nächsten Augenblick aber sprang Feuerauge auf, bahnte sich grob einen Weg durch die Tanzenden, bis er schließlich breitbeinig neben dem schluchzenden Mädchen stand und wütend den Stamm anrief. Er brüllte und schrie. Aber niemand hörte auf ihn, stattdessen schlugen die Trommeln noch wilder, und die Tanzenden gerieten in einen rauschartigen Zustand. Da entriß er einem der Männer die Keule und stieß zwei weitere zur Seite. Schlagartig verstummten die Trommeln und die Tanzenden erstarrten. Es war totenstill geworden. Nur das Prasseln des Feuers war noch zu hören. Wütende, todesverachtende Blicke trafen Feuerauge von allen Seiten, und es sah so aus, als würden sich im nächsten Augenblick alle gemeinsam auf ihn stürzen. Offensichtlich hatte er ein Tabu gebrochen. Maramir ahnte, daß er mit seinem Handeln das mächtige Wesen beleidigt hatte und das Wohl des Stammes riskierte. - Als er die Ausweglosigkeit seiner Lage zu erkennen schien, setzte er dem Kind zögernd die Keule an den Hinterkopf, genau an die Stelle, wo das Mädchen der tödliche Schlag treffen sollte. Sein Blick schwenkte plötzlich zu Maramir, und sie sah in seinen wässrigen Augen, daß er verzweifelt war.
    „Leikika!“, rief er flehend. Tränen liefen ihm jetzt über die Wangen. In diesem Augenblick wurde ihr bewußt, daß er sie inständig darum bat, dem Kind beizustehen. Wut und Zorn waren im Nu hinweggefegt. Sie wußte, was sie nun tun mußte und spürte weder Angst noch Zweifel. Ohne zu zögern, richtete sie sich auf, ging auf Feuerauge zu – und reichte dem Kind schließlich die Hand. Sie blickte in die rot geweinten Augen des Mädchens und fühlte zugleich einen Stich in der Brust. Ihr zierliches Gesicht war tränenüberströmt, die Nase lief. Starr vor Angst, betrachtete Mutter Schwarzhaar Wangenflecks Tochter Maramir auf eine Weise, als stünde leibhaftig das mächtige Wesen der Spitzgesichter vor ihr. In diesem Augenblick wußte Maramir, daß sie diesen Anblick unsäglichen Leides niemals mehr vergessen würde. Bereit das Leben dieses kleinen

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