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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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Mal, was die Knochenfrau dem Stamm verschwieg. Die Tatsache, daß Mutter Schwarzhaar Wangenfleck nicht mehr am Leben war, verwirrte Kar. Sie hatte nicht einmal viel Blut verloren – doch am Morgen war sie tot ...
    Wie auf ein stilles Zeichen hin begegnete sie plötzlich dem Blick der Knochenfrau. Ein listiges Grinsen zeichnete sich im Gesicht der Alten ab. In dem Augenblick glaubte Kar zu erahnen was wirklich geschehen war; und es erfüllte sie mit Stolz und Zuneigung, daß die mächtigste Frau der Spitzgesichter, sie, eine Fremde, um einen so hohen Preis beschützt hatte.
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    Der nächste Tag begann gewöhnlich. Während Kar die Glut schürte und neue Flammen entfachte, sammelten Maramir und Leinocka in Begleitung von Feuerauge neues Brennholz. Ebenso wie die Spitzgesichter, gingen auch die Schwestern üblichen Tätigkeiten nach und ahnten nichts davon, welche überraschende Wende dieser Morgen noch bringen würde.
    Seit Anbruch des Tages verhielt sich die Knochenfrau auffallend rege. Gewöhnlich hockte sie an ihrem Platz und sah aufmerksam dem Geschehen im Lager zu, wenn sie ihre Augen nicht gerade geschlossen hielt und döste, während sie ihren alten Körper am Feuer wärmte. An diesem Morgen aber sprach sie zu den Flammen und verbrannte unterdessen Rabenfedern. Vor ihren Füßen lagen ein paar handliche Knochen, welche sie immer wieder verschob, als wollte sie daraus ein bestimmtes Bild formen. Außerdem besuchte sie an diesem Morgen den Bärenschädel, legte mit Hilfe einer knöchernen Schaufel, dem von Gebrauchsspuren gezeichneten Schulterblatt eines Vielhorns, ein Häufchen glühender Kohle davor und entzündete daran ein Bündel getrockneter Kräuter. Ein beißender Geruch zog daraufhin mit dem Wind durch das Lager. Die Alte fächelte dem Schädel Rauch zu und es sah so aus, als würde sie ihn dabei befragen.
    Als die Knochenfrau schließlich alle zu sich rief, wußten die Schwestern immer noch nicht, was sie erwartete. - Ein paar Worte aus ihrem Mund versetzten die Spitzgesichter in verhaltene Erregung. Aufbruchstimmung machte sich breit. Jener Umstand verursachte Maramir und Kar plötzliche Übelkeit, denn sie wußten, um zu überleben, mußten sie sich weiterhin der Gemeinschaft anschließen.
    So blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich zu fügen – und sich von den Spitzgesichtern in ein fremdes Land, in eine ungewisse Zukunft führen zu lassen. Die Entfernung zwischen ihnen und dem Tal der Ahnen sollte nun mit jedem Tag wachsen ...
     
     

 
    4. Kapitel
     
    Feuerauge saß auf einem der hellen, weiß-grauen Felsen, die aus der karg bewachsenen, dünnen Erdschicht wie spitze Knochen aus dem Leib von Mutter Erde ragten. Das Licht der Nachmittagssonne glitzerte goldgelb auf dem sanft fließenden Fluß unten in der Schlucht. Er hob den Kopf und betrachtete den blassen, fast vollen Mond. Vögel zwitscherten, Zikaden zirpten, und der milde Wind roch nach dem süßlich–würzigen Duft von Kiefern, niederen Heidesträuchern, Rauch und gebratenem Fleisch. Feuerauge, der von den Menschen seines Volkes Bärenpranke genannt wurde, dankte dem Mächtigen Bären dafür, daß er ihm mehr Kraft und Mut verliehen hatte als anderen Jägern. - Er und sein Sohn Schneller Läufer, den Maramir in ihrer Sprache Lächelndes Spitzgesicht nannte, hatten am Morgen einige Pferde erlegt; genug, um viele Tage davon satt zu werden. Sie hatten nichts weiter tun müssen, als große, aber handliche Steine, die sie in der Umgebung fanden, auf die Herde hinabzuschleudern, während die Tiere einen engen Felspfad passierten, um den Fluß zu erreichen. Eine solche Gelegenheit ergab sich selten, und im Augenblick dachte er daran, daß sie mehr Tiere hätten töten können, wenn Scharfe Schneide und dessen Söhne dabei gewesen wären.
    Die Sippe, die in der Warmzeit ein Lager teilte, zählte normalerweise mehr Mitglieder als es dieses Mal der Fall war. Sein Bruder Scharfe Schneide, der besser als jeder andere im Stamm Klingen und Schaber klopfen konnte, hatte sich wegen der Plattgesichtfrauen gegen ihn gestellt. Bärenpranke war sehr darüber verärgert gewesen, daß Scharfe Schneide sich dieses Mal mit seiner Familie der Sippe von Tötete die Hyäne mit einer Hand anschloss, der Schwester ihrer Mutter. Aber die heilige Frau des Stammes, die Tochter des Urvaters – des Mächtigen Bären, welcher den Vorfahren aller Bären und Menschen verkörperte, hatte beschlossen, daß es Scharfes Schneides Recht sei zu entscheiden, ob er seine

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