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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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Jagdbeute mit den Frauen, auf die Bärenpranke alleine Anspruch erhob, zu teilen bereit sei. Um den Zorn des Mächtigen Bären nicht zu wecken, mußte Bärenpranke den Willen seiner Mutter hinnehmen und die Wahl seines Bruders akzeptieren. Scharfe Schneide hatte Gründe vorzuweisen: Drei hungrige Bäuche mehr seien zuviel, hatte er gesagt, und keine der Plattgesichter tauge für die Jagd. Ja, Scharfe Schneide hatte Recht, Maramir und Kar waren schwächer und langsamer als die Frauen ihres Volkes, Leinocka zeigte darüber hinaus mehr von einem Kind als von einer Frau und kostete Bärenpranke mehr, als sie gab. - Trotz des Jagderfolges war Bärenpranke immer noch verstimmt. Scharfe Schneide hatte es gewagt, sich gegen ihn aufzulehnen, obwohl er, Bärenpranke, der mutigste und geschickteste Jäger war, stärker als jeder andere im Stamm.
    Wieder blickte er in den Himmel auf. Das Gesicht des Mondes würde in zwei oder drei Tagen vollends zu sehen sein. Drei Finger oft hatte der Mächtige Bär nun schon sein volles Gesicht hell und klar im nächtlichen Land der Verstorbenen gezeigt, seitdem sie das Winterlager verlassen hatten. Sie waren zurückgekehrt in das Land der Vorfahren, in dem die heiligen Stätten lagen und der große Bär wohnte. Bisher mußten sie keinen Hunger leiden. Mehr noch, der Mächtige Bär schenkte ihnen Zuwachs, denn Maramirs und Leinockas Bäuche wuchsen. Wenn der Urvater es so wollte, würden sie ihm Söhne gebären; Söhne, die irgendwann für die Sippe jagen konnten.
    Unten am Fluß entdeckte er nun Schneller Läufer und Kar. Bärenpranke sah mit Freude, wie sein Sohn Kar dabei half, Tiermägen mit Wasser zu füllen. Es sah ganz danach aus, als hätte Schneller Läufer nur noch Augen für Kar. So mußte Bärenpranke über den Rat seiner Mutter, Maramir mit seinem Sohn zu teilen, nicht weiter nachdenken. So behielt er Maramir für sich, niemand anderes sollte sie haben; denn er trug das Auge des Mächtigen Bären auf seiner Brust, und Maramirs Augen hatten dieselbe Farbe. Er glaubte daran, daß in ihr ein Teil der Seele des Mächtigen Bären wohnte, und daß jener Teil ihm zusätzlich Kraft gab, als der Stärkste von allen den Stamm zu beschützen. Deshalb faßte er den Entschluß, dem großen Bären, dem Sohn des Mächtigen Bären, ein Dankopfer zu bringen, gleich in der Morgenfrühe, noch bevor das große Feuer im Land der Verstorbenen zu sehen sein würde.
    Er wandte seinen Blick dem Lager zu. Der Geruch von gebratenem Fleisch ließ ihn Hunger und solche Eßlust verspüren, daß sich Speichel in seinem Mund sammelte. Er sah den Frauen zu, wie sie Häute reinigten und Fleisch trockneten. Sehnen kauend saß seine Mutter im Schatten der Hütte, einem Gerüst aus Stein und Holz, großen Knochen und Mammutstoßzähnen, das ganz und gar mit Fellen überzogen war, wachte über das Fleisch in der Glut und betrachtete einige kleine, frische Knochen vor ihren Füßen. Er selbst maß diesen Gebeinresten nur den Wert bei, daß sie gerade gut genug zum Verfeuern waren. - Seine Mutter sah mit anderen Augen. Oft hatte er sie gefragt, wer jemals ihren Platz im Stamm einnehmen könne, wenn sie ins Land der Verstorbenen ging. Doch auf diese Frage hatte sie ihm nie geantwortet. Bisher hatte sie nur einen einzigen Menschen in ihre Geheimnisse eingeweiht: Seine Frau Flinke Hand, die während der Geburt des letzten Kindes starb. Drei Söhne hatte sie ihm geschenkt, von denen nur Schneller Läufer, der Jüngste, das Mannesalter erreicht hatte. Auch Flinke Hand war eine Tochter des Mächtigen Bären gewesen. Sie hatte das längste und schönste Haar des ganzen Stammes gehabt – letztendlich war ihr Haar so schwarz wie das seiner Mutter geworden. Sie wäre eine heilige Frau geworden, die den Stamm hätte führen können, wenn schließlich der Bär nach dem Tod seiner Mutter durch sie gesprochen hätte.
    Nachdem Flinke Hand in unversehrtem Zustand in die Leibesöffnung von Mutter Erde gebracht und ihre leblose Hülle im Lehmboden begraben worden war, suchten er und Tochter des Bären noch oft jene Höhle auf. In den dunklen Nächten, in denen der Mächtige Bär im Land der Lebenden wohnte, da sein Gesicht am Himmel weder in der Nacht noch am Tag zu sehen war, standen sie vor der Felsöffnung, riefen den Mächtigen Bären an und baten um die Rückkehr von Flinke Hand. - Sie trat nie hervor, aber manchmal flüsterte sie ihnen leise zu, während sie im finsteren Schatten der Höhle verborgen blieb. - Seine Mutter hatte

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