Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
Vom Netzwerk:
geschwollen und blau angelaufen, er konnte ihn kaum bewegen. Während der Jagd war er schlimm gestürzt. - Als Maramir die gefiederte Beute der Jäger sah, zweifelte sie nicht im Geringsten daran, daß die mächtigen Himmelswesen ihn bestraft hatten. Obwohl die Spitzgesichter daran glaubten, daß die Vögel die Seelen der Toten ins Land der Verstorbenen trugen, hatten sie einige getötet; Hunger zu leiden war für sie das schlimmere Übel. Maramir hingegen fürchtete nun den Zorn der mächtigen Himmelswesen, denn sie wußte: die Vögel waren ihre Kinder, die sowohl in dieser wie der anderen Welt wohnten; wie die mächtigen Himmelswesen selbst. - Außerdem würden die getöteten Vögel den Stamm nicht einmal satt machen. Das alles bedeutete nichts Gutes. Maramirs Sorge um Kar wuchs ...
     
    Noch immer wehte ein kalter Wind, und der graue Himmel versprach erneut Regen, als die Familie von Scharfe Zunge sich um das Feuer unter dem Dach des Unterstandes zusammendrängte, den sie zuvor aus morschen Stämmen, Ästen und Steinen errichtet und mit Fellen bespannt hatten. Der Platz vor der Höhle der Großen Mutter war naß und schlammig. In der Höhle brannte ein weiteres Feuer, gerade soweit drinnen, daß Wind und Regen es nicht zu löschen vermochten. Scharfe Zunge und seine Sippe wußten nicht, was sich in dem entfernten Lager von Tochter des Bärens Sippe zugetragen hatte. Dennoch war sich Scharfe Zunge sicher, daß seine Zeit den Stamm zu führen gekommen war. Es galt dem Mächtigen Bären zu huldigen und ihn um Kraft und Weisheit zu bitten. Jetzt, als alter Mann, spürte er die Nähe und tiefe Verbundenheit mit dem Urvater, der ihn als Übermittler seines Willens anerkennen würde. So brach mit der einsetzenden Dämmerung die wichtigste Nacht seines Lebens an. Er zuckte nur leicht, als sein Sohn Schwarzlocke ihm dünne, zugespitzte Bärenknochensplitter knapp unter der Haut durch sein Fleisch trieb. Der Rauch von Kräutern, den ihm seine Frauen zufächelten, stieg ihm tanzend in die Nase – doch Wind und Regen waren ein gutes Zeichen. Es war ein Zeichen des Umbruchs; die Mächte verwischten die Spuren der Vergangenheit.
    Als der Mond sich vor ein paar Tagen verdunkelt hatte, ahnte er bereits, daß Tochter des Bären dem Tod nahe war. Das frisch zerstörte Grab in der Höhle ließ darauf schließen, daß bereits jemand verstorben und im Schoß der Großen Mutter beigesetzt worden war. Die Spuren eines großen Bären waren deutliche Anzeichen dafür, daß der große Bär den Leichnam geholt hatte. Der Mächtige Bär selbst, so verstand es Scharfe Zunge, hatte sich seiner Tochter angenommen. - Auch das Verlangen seines Sohnes Schwarzlocke nach der Frau der Plattgesichter und die gefallenen Worte von Bärenprankes gewünschtem Tod waren ein Zeichen gewesen. Vor zwei Tagen hatte er seinen Sohn auf die Jagd geschickt, um dem Urvater mit Geschenken und einem würdigen Opfer begegnen zu können. Als die Jäger, angeführt von Schwarzlocke, zurückkehrten und er den getöteten Wolf sah, da wußte Scharfe Zunge, was dieses zu bedeuten hatte. Der Wolfsschädel samt Fell, draußen im Schlamm, waren der Beweis dafür, daß der Mächtige Bär ihn, Scharfe Zunge, als Nachfolger für Tochter des Bären bestimmte und dem neuen Führer des Stammes die Richtung wies.
    Mit einem Windstoß, der das Feuer vor seinen Füßen beinahe ausblies, durchfuhr ihn ein schauriges Gefühl. Sofort versuchte er die Angst zu verdrängen, die Macht in der Luft, die er nun atmete, aufzunehmen und in sich fließen zu lassen. Also kehrte Scharfe Zunge seine Gedanken nach innen, um Ruhe und Kraft zu sammeln, besonnen seine Worte an die Große Mutter zu richten und sie um ein langes Leben für sich selbst und seine Familie zu bitten. Auch dem Geist des Mächtigen Bären mußte er stolz und weise begegnen. Schließlich rieb die älteste seiner Frauen Scharfe Zunges Körper mit Ruß ein. Aus einer Mischung von seinem Blut und Ruß bestrich sie anschließend die Gesichter aller, um die Geschlossenheit der Familie, die Verbundenheit ihrer Gedanken und den Kontakt zu den Geistern zu bekräftigen. - Allmählich verspürte Scharfe Zunge eine seltsame Kraft in seinem Inneren aufsteigen, die einherging mit einem kalten Schauer, der von seinem Rücken über seinen Nacken bis in jedes einzelne Haar auf seinem Kopf zog.
    Er fühlte die unmittelbare Nähe des Urvaters, die lodernde Kraft des Mächtigen Bären, dessen Geist nun über den Vorplatz der Höhle schlich. Nun

Weitere Kostenlose Bücher