Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
Vom Netzwerk:
Augen Stirn und Schläfen. Dann schöpfte sie es mit ihren Händen, um zu trinken - ehrfürchtig, in tiefem Respekt vor einer höheren Macht.
    „Die Wesen der Unterwelt sind mächtig, doch wir müssen sie nicht fürchten. Ihre Kinder sind die Würmer, die Käfer und die Fische. Die Kinder des Kleinen und des Großen Himmelsfeuers ernähren sie gut.“
    Kar stand auf und durchschritt die Rinne, wobei ihr das Wasser bis zu den Oberschenkeln reichte, bevor sie sich umdrehte und ihnen zurief: „Ich zeige euch einen Ort, der zwischen dieser und der Unterwelt liegt.“
    An einer flachen Stelle überquerten sie den Fluß. Der Boden unter ihren Füßen wurde bald zunehmend felsiger, der Weg immer steiler. Auf Händen und Füßen erklommen sie einen Hang voller Geröll. Vereinzelt ragten hohe Bäume himmelwärts und ein niederer, spärlicher Bewuchs von Sträuchern und Jungbäumen erlaubte nur lückenhaft den Blick hinauf zu einer Felswand, auf die sie sich, zwischen umgestürzten Bäumen, vermodernden Stämmen und Ästen, kletternd zubewegten.
    Als sie die Wand erreichten, deren helles, rissiges Gestein sich kühl anfühlte, führte Kar sie vorsichtig zu einem unscheinbaren Felsloch. Sie roch hinein; erst dann betraten sie nacheinander gebückt die Höhle und standen gleich darauf in einem kleinen Raum, der nach oben hin spitz verlaufend zwei Mann hoch in den Fels ragte. Seitlich führte ein niederer, schmaler Gang tiefer in den Fels. Kar ging, auf Hände und Knie gebückt, voraus - in die Finsternis hinein. Jedes Wort, jedes Knirschen, jegliches Atemgeräusch klang dumpf, als würde der Stein es sofort, nachdem es entstanden war, verschlucken. An Boden und Wänden tasteten sie sich krabbelnd Stück für Stück voran, während Werferin im hellen Vorraum zurückblieb. Es war feucht und angenehm kühl. Bald verengte sich der Gang und Kar konnte nicht mehr weiter. Die Höhle endete an einer Stelle, an der nicht einmal mehr ein Kind durchpaßte.
    „Könnt ihr den Atem der Wesen aus der Unterwelt fühlen?“, fragte sie in einem gedämpften Tonfall. „Könnt ihr es spüren?“
    Roter Wolf bejahte flüsternd, und Feuerhaar stimmte ihm zu.
    „Das ist gut. Ihr habt die feinen Sinne des Wolfes. - Es ist an der Zeit zu erkennen, wer ihr wirklich seid. Das Kleine Himmelsfeuer hat viele Kinder. Eines davon ist der Wolf. Die große Mutter der Wölfe hat unsere ältesten Ahnen geboren. Halb Mensch – halb Wolf!“, erklärte Kar ernst. Deren Kinder aber waren Menschen wie wir. Die anderen Kinder der Mutter Wölfin waren die Mähnenwölfe und der Rotwolf.“ Kar schwieg einen Moment – und nachdem sie das Gefühl hatte, daß die beiden ihr gut zuhörten, fuhr sie fort: „Die Mähnenwölfe sind stark, aber sie sind nicht klug; sie sind langsam und schlechte Jäger. - Der Rotwolf ist klug und schnell, aber er ist schwach. Seine Beute ist klein, er kennt viele Feinde und muß vor ihnen fliehen. In dieser Welt, muß er deshalb alleine leben.“ Jetzt hob sie äußerste Aufmerksamkeit fordernd ihre Stimme an. „Eure Art zu jagen, ist die des Wolfes. Ihr bringt die Beute ebenso geschickt zu Fall, und wie die Wölfe jagt ihr gemeinsam. Eure Sprache untereinander ist die Sprache der Gedanken. Das ist der Wolf in euch.“ Kar senkte die Stimme wieder. „Wenn wir sterben, gehen unsere Seelen ins Tal der Ahnen. Verlässt eine Seele das Tal, tut sie es in der Gestalt des Wolfes, denn das ist die Gestalt der Mutter Wölfin ... Auch wenn der Wolf niemals so stark sein wird wie der Bär, so ist er dennoch klug und geschickt. Selbst der stärkste Bär tut gut daran, die Wölfe zu fürchten! - Nennt nun den Wesen der Unterwelt eure Namen und die eurer Ahnen! Sie kennen euch noch nicht.“
    Feuerhaar leckte sich die Lippen, bevor er unbeholfen und stockend, in der fremden Sprache eines Stammes sprach, den er nur von Erzählungen her kannte. Er zählte seine Ahnenreihe auf, die mit seiner Mutter begann und mit der Muttersmutter zehn Generationen zurück endete; mit fester Stimme und geschwellter Brust wiederholte Roter Wolf Wort für Wort, und wie sein Bruder nahm auch er dabei Finger und Gliedmaßen bei der Aufzählung zu Hilfe. - Danach krochen sie auf Kars Geheiß in den von Tageslicht erhellten Raum zurück, wo Werferin, an den Fels der Höhle gelehnt, auf dem trockenen Lehmboden saß. Dort verlangte Kar von den Zwillingen ein Blutopfer. Auf ihren Befehl hin fügte sich jeder der beiden einen Schnitt, quer über den Unterarm zu. Sie ließen das

Weitere Kostenlose Bücher