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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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ihm die Spitze vors Gesicht.
    „Ich bin eine Jägerin!“
    „Genug jetzt!“, zischte Kar und zerrte Werferin von ihm herunter.
    Zitternd lag Roter Wolf im niederen Gras, Tränen schossen ihm in die Augen. Verächtlich sah Werferin auf ihn herab.
    „Ein Jäger? - Du weinst wie ein Kind!“, spottete sie.
    Kar deutete mit dem Finger auf ihn, stellte sich zwischen die Beiden, sah Werferin an und sagte: „Alles, was du siehst, sind Tränen?“
    Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, ratlos starrte Werferin ihr entgegen.
    „Ich werde dir sagen, was ich sehe“, sagte Kar. „Ich sehe hinter die Tränen, und dort erkenne ich Wut – und Verstand.“
    Kar kniete sich nieder und musterte ihn eine Weile mit ernstem Blick.
    „Der Verstand“, fuhr sie fort, „wird Ruatedannan lehren, erst dann zu kämpfen, wenn die Wut ohne Tränen kommt!“
    Auf ein Zeichen von ihr erhob sich Roter Wolf zögerlich in den Stand. Ungläubig betrachtete Werferin ihren jüngeren Bruder. Tränen glänzten in seinen Augen. - Sie wandte ihren Blick Feuerhaar zu. Der stierte nur verstohlen auf den Boden vor seinen Füßen. Es fiel ihr schwer, an Kars Worte zu glauben.
    Schweigend setzte die kleine Gruppe ihren Weg fort. - Bis Kar sprach: „Dieses Kraut! Wie kann man es verwenden?“
    Ihr strenger Blick haftete auf den Zwillingen. Sie erwartete, daß sie wußten, um welche der drei sich ähnelnden Pflanzen es sich handelte, deren weiße Doldenblüte sie mit den Fingerspitzen berührte.
    „Es ist ein tödliches Gift!“, glaubte Feuerhaar zu wissen.
    Kar sah nun eindringlich Roter Wolf an.
    „Die ... die Wurzeln ... essen ...“, stotterte er.
    „Ihr habt vergessen, was ich euch beigebracht habe!“, schimpfte sie.
    Werferin riß eines der Blätter vom Stengel, hielt es den beiden vors Gesicht und sagte: „Kauen! Es hilft bei schmerzenden Zähnen.“
    „Du lernst gut, Daira“, lobte Kar. „Es war gut, dir einen Namen in der Sprache unserer Ahnen zu geben. Du bist eine Frau der Jagd und der Medizin.“
    Einmal mehr verspürten die Zwillinge den schwelenden Groll, den sie seit geraumer Zeit Werferin gegenüber empfanden. Sie war stark, mutig, und nicht nur Maramir und Kar erwähnten des öfteren ihre Klugheit.
    Seit der letzten Schlafzeit des Großen Himmelsfeuers zählte Werferin zum Kreis der Jäger. Sie hatte erlebt, wie es war, in der Gruppe die Beute in den tiefen Schnee zu treiben und auf Leben und Tod mit ihr zu kämpfen. In jener Kaltzeit erbeuteten die Jäger Fleisch, Hörner und Felle von den Krummhorn Langhaar, Vielhörnern und den riesigen Zweischwänzen. Werferin hatte Mut und Geschick bewiesen und wurde seitdem vom ganzen Stamm respektiert und geachtet.
    Sie belächelte fortan ihre jüngeren Brüder, deren Wort und Meinung noch kein Gewicht besaßen. Dabei war es noch gar nicht lange her, daß sie gemeinsam die Gruppe der heranwachsenden Jäger anführten.
    „Kommt! Wir sind gleich da“, sagte Kar.
    Zum wiederholten Mal musterte sie an diesem Tag Maramirs Söhne. Die beiden waren herangereift, hatten allmählich ihre kindhaften Züge verloren ... alles deutete darauf hin, daß die Zeit gekommen war. - Kar verwarf die aufkommenden Zweifel und ging weiter.
    Bald darauf erhob sie einen Finger und lauschte; mit prüfendem Blick sah sie dabei die Zwillinge an.
    „Fallwasser!“, erklärte Feuerhaar rasch.
    Kar ging schweigend weiter und folgte erwartungsvoll dem von leisem Donnern begleiteten Rauschen. An ihrem Ausdruck erkannte Feuerhaar, daß es sich dabei nicht um einen Wasserfall handelte, wie er angenommen hatte. Aufmerksam sah er sich um. Neben ihnen verlief der Fluß. Das Tal war umrahmt von licht bewaldeten Hängen angrenzender felsiger Hügel. Das Geräusch war so laut, daß sie schon ganz in der Nähe sein mußten.
    „Felswasser!“, stieß er stolz hervor.
    Dieses Mal nickte Kar ihm zu.
    Der Boden wurde morastig, bis zu den Knöcheln wateten sie im Schlamm. Kar ging voraus und bahnte einen Weg durch mannshohes Gras. Schließlich erreichten sie die Stelle, an der klares Wasser aus einem Felsspalt schoss – durch eine kurze, aus dem Gestein gespülte Rinne floss und dort, wo der Fels in weiche Erde überging, ungebahnt rasch verbreiternd ins Grasdickicht schwemmte.
    „Es kommt aus der Unterwelt und hält den Zauber böser Geister fern“, erklärte Kar. „Doch es fließt nur, wenn die Tränen der Himmelswesen die Unterwelt erreichen.“
    Kar streckte ihre Finger ins kühle Naß und benetzte mit geschlossenen

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