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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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Wolf über die Wesen der Unterwelt nach, die im Fels wohnten. Weder das Große, noch das Kleine Himmelsfeuer, nicht einmal die mächtigen Himmelswesen, mit ihren krachenden Feuerspeeren oder ihrem gewaltigen Atem, konnten ihnen etwas anhaben. Je länger Roter Wolf die Decke der Höhle betrachtete, desto deutlicher sah er es: Der Fels hatte Augen; viele Augen – und es wurden immer mehr, umso genauer er hinsah. Auch ihn erfasste ein kalter Schauer.
     
    Bis tief in die Nacht hinein saßen sie still, eng aneinandergeschmiegt in das dicke Wisentfell gehüllt, im Schutz des schmalen Ganges, der in den Fels führte. Sie spürten die feuchte Kälte auf ihrer Haut. Es war, als ob die Wesen der Unterwelt nach ihnen griffen. Gedanken vermischten sich mit Erinnerungen, Erlebtes mit Kars Erzählungen von den Ahnen. Die Geräusche der Nacht schienen aus einer anderen Welt in ihre Ohren zu dringen. Sogar das laute, schauerliche Geschrei kämpfender Katzen in der Nähe klang unwirklich. Sie fürchteten, daß die Geister von Verstorbenen jeden Moment aus dem Fels hervorgekrochen kamen. Aber zunehmende Müdigkeit ließ sie Furcht und Kälte alsbald vergessen. Mit Macht kam dann der Schlaf, und ihr Geist ging in die sie umgebende Dunkelheit über.
     
    Als sie erwachten, hörten sie, wie das Laubwerk raschelte. Jemand befand sich am Eingang der Höhle. Über den lehmigen Boden schlichen sie den Gang entlang, bis zu einer Stelle, von der aus sie den vom Morgenlicht erhellten Eingangsraum überblicken konnten. Sie sahen, wie sich das welkende Laub der geschichteten, ineinander gesteckten und verhakten Zweige, die noch immer den Eingang verschlossen, bewegte, als würde jemand leicht an dem Geflecht rütteln. Still harrten sie aus und warteten, was passieren würde. Sie konnten hören, wie die Kreatur witterte; in kurzen, aufeinanderfolgenden Stößen sog sie Luft ein und atmete in langgezogenem Schnauben wieder aus. - Mit einem Mal wurde es still. - Dann hörte es sich so an, als ob die Kreatur sich davonmachte; Geröll stürzte klappernd den Hang hinab. Zögerlich betraten die Zwillinge den Raum. Roter Wolf erstarrte, gab Feuerhaar ein Zeichen und lauschte. Draußen war ein Geräusch, das nicht von unten, sondern von oben oder den Seiten kam: Schritte! Lose Steine knirschten. Ein leises Brummen war zu hören. Bewegungslos starrten die beiden auf den mit Zweigen und Blättern verdeckten Ausgang, der sich mit einem Mal verdunkelte, als ob ein massiger Körper das spärlich einfallende Licht behinderte. Kurze Zeit darauf verschwand der Schatten. - Es war nichts mehr zu hören. Schließlich spähten sie durch das Blattwerk nach draußen. Ihre geheimnisvollen Besucher schienen verschwunden zu sein. Lange sahen sie noch argwöhnisch hinaus, in der Erwartung, irgendetwas auszumachen, das ihnen verraten würde, was draußen vor sich ging. Aber außer Zweigen und Blättern im Wind bewegte sich nichts. Allmählich fanden einige Strahlen der Morgensonne herein. Sie beschlossen, das Wisentfell zu holen, sich darin einzuhüllen und darauf zu warten, daß das Licht des Großen Himmelsfeuers sie wärmen würde.
     
    Es war etwa um die Zeit der Tagesmitte, als die Kälte die Macht über ihre Gedanken verlor. In ihren Vorstellungen erlegten sie mit Speer und Schleudersteinen Riesenhirsche und Wisente, und sie sprachen davon, wie es wäre, für solche Taten von jedem Mitglied des Stammes geachtet und respektiert zu werden. Sie verspürten Hunger, und sie fragten sich, wann Kar endlich zurückkommen würde. Feuerhaar fand, daß es an der Zeit war, die Höhle zu verlassen.
    „Eine weitere Nacht sollten wir hier nicht bleiben“, teilte er seinem Bruder mit und sagte darauf: „Vielleicht war es ein Mähnenwolf - und er kommt wieder ... dieses Mal nicht allein.“
    „Nein, es war ein Wolf! Und ein Bär. So wie Kar es vorausgesagt hat; die Ahnen haben uns ein Zeichen gegeben.“
    „Es könnte auch ein Mähnenwolf gewesen sein ... Und ein Bär hat ihn vertrieben! - Die große Bärin selbst, oder einer ihrer Söhne!“
    „Dann brauchen wir niemanden zu fürchten. Sie wären gekommen, um uns zu beschützen!“
    „Wenn wir nicht bald aufbrechen, werden wir es nicht vor der Dunkelheit ins Lager schaffen!“
    „Kar wird kommen!“
    Feuerhaar stand auf, drückte einige Zweige beiseite und sah hinaus.
    „Es war ein Wolf!“, wiederholte sich Roter Wolf nachdrücklich.
    Feuerhaar schwieg eine Weile, bevor er sich zu seinem Bruder umdrehte und sagte:

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