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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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an einem fehlenden Schneidezahn und dem noch vorhandenem Haupthaar erkennen konnten. Was die Mähnenkatzen zurückgelassen hatten, war von Hyänen verschleppt worden.
    Mit diesen kläglichen Überresten und nur einem Schädel vollzogen sie die Bestattung, eine Beisetzung unter Klagegesang, ohne Tanz. Die Seele Schwarzflecks mußte allein den Weg ins Reich der Toten suchen, ohne Geleit den Weg durch die Dunkelheit finden. - Am Ende der Zeremonie war Bärenprankes Körper blutüberströmt, in ohnmächtigem Zorn hatte er sich selbst gemartert. Er gab sich die Schuld an dem Tod seiner Frauen und mußte von nun an mit der Schande leben, daß er sie nicht beschützt hatte.
    Obwohl am darauffolgenden Tag Bärenprankes Sohn Braunhaut und die anderen Jäger endlich zurückkehrten, wuchs die Furcht vor den Mähnenkatzen. Ängstliche Zungen sprachen von bösen Totengeistern. An dem Tag, als das Schreckliche geschehen war, hatte sich Bärenpranke so nahe an die Löwen herangewagt, daß er dabei zusehen konnte, wie sie Steht Krumm und Schwarzfleck zerfleischten, und eine der großen Katzen hatte ihm sogar in die Augen gesehen ... Ihn hatten sie verschont; unversehrt ließen sie ihn ins Lager zurückkehren. - Einige glaubten gerade deshalb, daß es noch nicht vorbei war.
    Man brachte den Mächten Opfer dar, um Schutz zu erbitten. Die Angst vor einer unsichtbaren Gefahr, die nicht von dieser Welt zu sein schien, kroch wie ein Wurm durch das Lager, in die Köpfe der Menschen. - Aber die Spuren der Löwen verloren sich. So plötzlich wie sie aufgetaucht waren, verschwanden sie wieder ...
    -
     
    Während des Sommers veränderte sich Kars Körper, ihre Brüste schwollen an und ihre Mondblutungen blieben aus. - Der Sommer ging; die Tage wurden kälter und stürmischer; die Nächte bald frostig und die Zeit, ins Winterlager aufzubrechen, kam.
    Mit allem, was sie hatten, brachen Männer, Frauen, Kinder, Alte und Kranke auf und zogen in jene kalte Himmelsrichtung, die das Große Himmelsfeuer niemals berührte. Kars Bauch begann sich zu wölben.
     
    Während des langen Marsches in die Niederungen, der Mond hatte bereits zum zweiten Mal gewechselt, geschah es, daß Braunhauts neue Frau Beißt Fest mit ein paar anderen Frauen Wasser am Fluß holte, als Spricht die Sprache der Tiere plötzlich zwischen den Bäumen hervortrat, sie am Arm packte und ins Gebüsch zog ... Bereitwillig ließ sie alles über sich ergehen. - Schon zuvor hatte sich Spricht die Sprache der Tiere einige Male mit seiner jüngeren Schwester gepaart, und niemand hatte sich daran gestört. Dieses Mal aber stieß Braunhaut dazu und erschlug in seiner Wut Scharfe Schneides einzigen noch lebenden Sohn. Daß die Gemeinschaft der Sippe auseinanderbrechen würde, schien unausweichlich ... bis Kar Scharfe Schneide an ihr Feuer holte, während die aufgebrachte Menge stets erneut einen unberechenbaren Streit entfachte, Bärenpranke sich ununterbrochen schützend vor seinen Sohn stellen mußte und andere wiederum vor dem Zorn Braunhauts bewahrte.
    „Scharfe Schneide ...“ begann Kar in ruhigem Ton, während sie nachdenklich Holz ins Feuer legte. Sie blickte auf und sah ihm direkt, mit ernster Miene ins Gesicht.
    „Ich weiß, du bist ein kluger Mann, der Kälte und Hunger mehr fürchtet als den Zorn der Toten.“
    Jetzt wandte sie ihren Blick wieder von ihm ab, schöpfte aus dem Tiermagen über den heißen Steinen neben der Feuerstelle Suppe und reichte die Schale Scharfe Schneide, dessen Haupt- und Barthaar viele graue Strähnen durchzogen und dessen Schläfen bereits völlig ergraut waren. Scharfe Schneide nahm das Gefäß und roch unentschlossen daran.
    Kar fuhr fort: „Braunhaut ist jung und stark; und er ist Bärenpranke sehr ähnlich.“
    Teilnahmslos starrte Scharfe Schneide in die Schale, die er in seinen Händen hielt.
    „Bärenprankes Sohn soll die Stelle deines Sohnes Spricht die Sprache der Tiere einnehmen.“
    Jetzt horchte der Alte auf.
    „Braunhaut wird für deine Familie sorgen und sie beschützen! So will es der Mächtige Bär!“
    Scharfe Schneide sagte nichts, stattdessen blickten seine traurigen, alten Augen ins Feuer. Er empfand keinen Haß, und was geschehen war konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Bärenprankes Sohn würde ihn nicht über den Verlust seines eigenen Sohnes hinwegtrösten. Aber er mußte nun weise entscheiden und abwägen, zum Wohl des Stammes. - Also nahm er einen Schluck aus der Schale mit dem dampfenden Gebräu und gab Kar ein

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