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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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Angriff wagten die Mähnenwölfe nicht, denn schon nach den ersten Schritten sanken sie bis zum Rumpf in den Schnee ein. Mit einer List lockten sie das Rudel schließlich aus dem Unterschlupf; dafür gaben sie den letzten Vorrat an Fleisch auf, den Tanzt Viel in einiger Entfernung von der Höhle als Köder abgelegt und dem Rudel ein paar handliche Brocken davon zugeworfen hatte. Zuvor hatten sie sich in zwei Gruppen aufgeteilt: Die Jäger, die so taten als würden sie weiterziehen, an der Höhle vorbei, ein Stück weit den Hang hinauf; und die Frauen und Kinder, die in sicherem Abstand zur Höhle stehengeblieben waren. Es dauerte nicht lange bis die Mähnenwölfe sich hinaus in den tiefen Schnee wagten. Eilig drangen Bärenpranke, Braunhaut, Werferin, Roter Wolf und Feuerhaar in die Höhle ein und töteten ein Weibchen und zwei Jungtiere, die nicht der Verlockung des Fleisches gefolgt waren. Draußen im Tiefschnee vor der Höhle töteten sie außerdem zwei der größten Tiere, vertrieben die anderen und schleppten die Kadaver in die Höhle. - In jene Höhle, der letzten Lagerstätte des Stammes der Mutter Wölfin, an jenen Ort an dem man ihr die Mutter und den Sohn an einem einzigen Morgen genommen hatte. Schmerz und Trauer waren aufs Neue erwacht, als sie die Höhle betraten. Sie hatte gehofft die Geister der Toten hier zu spüren, war darauf vorbereitet, daß die Nähe zu den Ahnen sie bis an den Rand des Erträglichen zwingen würde; sie hatte geglaubt, noch Schädel, Kleidung oder Gegenstände, die einst den Menschen ihres Stammes gehört hatten, zu finden ... Doch nichts von dem war eingetroffen; Kar fand nichts, spürte nichts - als wäre es einfach nur eine Höhle, die ihnen Schutz bot und das Überleben sicherte. Die Geister der Ahnen waren nicht hier, wohnten nicht mehr im dunklen Schoß der Großen Mutter; die Toten hatten diesen Ort längst verlassen und einen Weg ins Tal der Ahnen gefunden, so glaubte Kar.
    Das Kratzen begann wieder. Eifrig kratzten die Mähnenwölfe an der vereisten Schicht des Walles. - Erneut versuchte ein Tier aus dem Rudel den Wall zu überwinden ... und wieder drang ein Jaulen in Kars Ohren. Die Mähnenwölfe verlangten ihr Lager zurück. Ebenso wie Kars Stamm, brauchten sie dringend Unterschlupf. Ununterbrochen setzte sich das Kratzen fort ...
    Helle Pfoten, gefolgt von einer dunklen Schnauze, durchbrachen schließlich den Wall. Als der Kopf und die vorderen Flanken durchstießen, stachen die Jäger zu und trieben ihre Lanzen tief in Brust und Hals des Mähnenwolfes. Gleichzeitig überwand ein weiterer Mähnenwolf den Wall; mit einem Satz riß er Singender Vogel, die ihre Arme schützend vors Gesicht geworfen hatte, zu Boden und befand sich plötzlich inmitten der Jäger ... Ein Biß ins Leere ... Sofort bohrten sich mehrere Lanzen in den mächtigen Hyänenkörper; allen voran stand Bärenpranke, das Auge des Mächtigen Bären verlieh ihm eine fast übermenschliche Entschlossenheit. Der Kampf war schnell entschieden und brach jäh ab, nachdem die Muskeln der Hyäne ein letztes Mal zuckten. Kar bemerkte, daß Singender Vogel in einer Nische der Höhlenwand bleich kauerte und ihr mit angsterfüllten Augen entgegenstarrte. Dann sah sie die Blutlache, in der Singender Vogel saß. Sie preßte ihren linken Arm krampfhaft an ihren Oberkörper. Immer mehr Blut quoll aus ihrem Fellumhang hervor und die Blutlache unter ihrem zitternden Körper vergrößerte sich rasch. Kar eilte zu ihr. Verzweifelt versuchte sie die Wunde an der Innenseite des Oberarms freizulegen. Singender Vogels Blut strömte dabei warm über ihre Hände, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sich ihre Blicke ein letztes Mal trafen und sich Singender Vogels Kopf langsam zur Brust neigte.
    Es wurde still in der Höhle. Das Rudel schien den Kampf aufgegeben zu haben. Und sogar der Wind schien seinen Atem anzuhalten ...
     
    Noch in dieser Nacht schälte Kar die restliche Rinde von ihrem Stab und begann die ersten Kerben ins Holz zu schnitzen, während Feuerhaar und die anderen trauerten und klagten. Werferin vollzog das Totenritual. - Und noch bevor sie den Leichnam im lehmigen Boden, in einer zuvor dafür ausgehobenen Grube beisetzten, gebar Kar eine Tochter.
     
     
     
     
       
     
       
     
     
     
     
     
     
     

 
    Buch
     
    „Das Land der Ahnen“
     
     
     
      
     
     
      

 
    11. Kapitel
     
    Die Zeit der eisigen Kälte ging vorüber. Zunehmend wurden die Tage länger und die Luft milder;

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