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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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weiterhin bemühen, den Stamm zusammenzuhalten. - Kar spürte die räkelnde Bewegung ihres Kindes auf dem Bauch und sah nach ihrer Tochter, die alle Mühe hatte, nach dem Schlaf ihre Augen zu öffnen. Noch bevor das kleine Wesen lauthals zu schreien beginnen konnte, entblößte Kar ihren Busen und führte den winzigen Mund des Säuglings an die Brustwarze. Zufrieden fing ihr Kind an zu saugen. Kurz darauf erhob Kar mit ernster Miene den Kopf, und ihr Blick traf Bärenprankes.
    „Die Ahnen haben zu mir gesprochen“, sagte sie. „Morgen werden wir weiterziehen!“
    Bärenpranke war nun der Älteste des Stammes. Sein Nicken genügte; damit war es beschlossen. Kar senkte ihren Kopf wieder. Jeder akzeptierte wortlos ihre Entscheidung. Ein weiteres Mal schöpfte Kar daraus die Gewißheit, noch immer das mächtigste Mitglied des Stammes zu sein. Sie führte Bären und Wölfe gemeinsam an, und jeder respektierte sie als Oberhaupt.
     
    Am folgenden Tag drangen sie tiefer in das Land ihrer Ahnen vor. - Nach drei Tagen Klettermarsch, ungefähr zu der Zeit, als das Große Himmelsfeuer am höchsten stand, kamen sie an eine Stelle, wo zwischen den Bäumen große, abgerundete Felsen aus dem Boden ragten. Als Kar den einzelstehenden, markanten Felsblock wiedererkannte, der wie ein Finger zum Reich der mächtigen Himmelswesen zeigte, wußte sie, daß sie eines der Sommerlager gefunden hatte, in dem sie und Maramir viele Tage und Nächte in der Gemeinschaft ihres Stammes verbracht hatten. Auch Maramir schien sich zu erinnern. Sie rannte zu dem Fels, kletterte ein Stück hinauf, griff in einen Spalt – und als sie ihre Arme wieder herausnahm, hielt sie behutsam einen Schädel in ihren Händen. Der Anblick schnürte Kar für einen Moment die Kehle zu. Maramir holte einen zweiten Schädel aus dem Spalt. Sie waren immer noch da, in dem alten Versteck. - Die Schädel der Wolfsgeschwister. Kar fühlte die Anwesenheit der Ahnen so stark wie selten zuvor. Es war, als würde sie mit dem sanften Wind, der ihr übers Gesicht strich, von ihnen berührt werden. Wie in einem Traum lief sie zwischen den Felsen umher, streifte mit ihren Fingern dabei das Gestein und spürte, wie der Schmerz, den sie längst überwunden geglaubt hatte, zurückkehrte. Ihre Füße trugen sie noch an jene Stelle, wo die Felsen endeten und sich ein Abgrund auftat. Sie sah einen Moment in die Ferne und fiel weinend auf die Knie. Unaufhaltsam brachen der Schmerz und die Tränen mit solcher Macht aus ihr heraus, daß sie sich erst nach einer Weile schluchzend in einer Nische zwischen den Felsen wiederfand. - Als sie sich schließlich die Tränen aus dem Gesicht wischte, wußte Kar, wie sie Leinockas Sohn nennen würde: Tedannalei – Welpe, Kleiner Wolf. So hatte Kar einst ihren längst toten und einzigen Sohn genannt. Und nun war er durch Leinocka wiedergeboren worden. Sie klemmte ihren Stock zwischen die Felsen und erwartete die anderen, die von Maramir geführt jeden Augenblick den Weg zu ihr finden würden ...
    Wie damals lagerten sie im Schutz der Steine. Braunhaut saß auf einem der größten Felsen und hielt Wache. Aufmerksam lauschten die anderen Kars und Maramirs Geschichten. Und während sie erzählten, schwelgten sie bald in Erinnerungen; es gab beiderseits viele Berührungen, die Zuneigung erkennen ließen. Jeder spürte, wie sich das Band, das sie alle umschloss, enger zog. - Schließlich erzählten sie von den Wolfsgeschwistern, die als Geistwesen durch den Bergwald streiften. Es war eine alte Geschichte, die oft erzählt worden war: Ein Wolf und seine Schwester lebten in einem Rudel. Selten sah man einen von beiden alleine; und auch in der Gemeinschaft ihres Stammes suchten sie stets die Nähe des Anderen. Sie tanzten miteinander den Tanz der Geschlechter und zogen gemeinsam die Jungen der Wölfin auf. - Als der Wolf aber alt wurde und Schwäche zeigte, griffen ihn die jungen, starken Wölfe an. Der alte Wolf wurde in diesem Kampf so schwer verletzt, daß er das Rudel verließ und sich zurückzog, um zu sterben.
    Kar unterbrach und lauschte den verdächtigen Geräuschen der jungen Nacht – bevor sie mit der Geschichte fortfuhr: „Die Wölfin aber legte sich zu keinem der anderen Wölfe. Sie verließ ihren Stamm und zog ihre Jungen alleine auf. - Aber eine Mähnenkatze fand ihren Unterschlupf und tötete die Jungen. Sie selbst hatte versucht, ihre Jungen zu beschützen und wurde von der Mähnenkatze so schwer verwundet, daß sie sich nur noch mit letzter

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