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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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Kraft an den Platz schleppen konnte, an dem auch der alte Wolf gestorben war.“
    Kar schwieg mit einem Mal andächtig und deutete dann mit dem Finger in die Dunkelheit. „Genau dort, am Fuß des Felsens, wo bis heute ihre Schädel wohnen“, flüsterte sie.
    Die Augen der Meisten waren auffallend groß geworden, und jeder lauschte jetzt ebenfalls den Geräuschen der jungen Nacht.
    Maramir klemmte daraufhin geübt zwei Speere in die alten, wie dafür geschaffenen Felsspalten nahe beim Feuer, verschwand in der Dunkelheit – und kehrte mit den beiden Wolfsschädeln zurück, die sie auf die Speere steckte. Dann ging sie zwei Schritte zurück und bestrich ihr Gesicht mit Ruß. Sie schloß die Augen, legte ihren Kopf in den Nacken und begann zu schwanken und zu summen. Ihr Körper bewegte sich im Klang der Melodie, begleitet vom steten Knacken des brennenden Holzes. Jetzt erhob sich auch Kar und stimmte in das Summen ein. Sie tanzten! Tanzten gemeinsam den alten Tanz ihrer Ahnen.
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    Während das Große Himmelsfeuer über die Baumwipfel stieg und allmählich die weite Ebene des Flußtales mit Licht füllte, saßen Roter Wolf und Feuerhaar ganz in der Nähe des Lagers auf einem Felsen, der ein Stück weit über einen steilen, tiefen Abgrund hinausragte. Diese Stelle markierte abrupt eine atemberaubende Grenze zum weit unten liegenden Flachland, das offen vor ihnen lag und sich fast bis ans Ende des Horizontes erstreckte, bis hin zu schattenhaften Umrissen von Bergen, die jenseits des großen Stromes lagen.
    Sie saßen neben Kars langem, hölzernem Stab, den sie in einen Felsspalt geklemmt und mit Steinen verkeilt hatte. Ins Holz waren der schemenhafte Kopf eines Wolfes und der eines Bären geschnitzt. Darunter befanden sich ebenfalls Zeichen: Kerben, die Kar bei jedem Voll erwachten Kleinen Himmelsfeuer längs in das Holz hinzufügte. Zu Beginn der nächsten Schlafzeit des Großen Himmelsfeuers, so hatte sie ihnen erklärt, wolle sie eine weitere Kerbe quer unter und zum Ende der Schlafzeit des Großen Himmelsfeuers quer über den dazugehörigen jeweiligen Längsritz setzen. Zu den großen Festen aber wolle sie jene Längskerbe des Voll erwachten Kleinen Himmelsfeuers mit einer zusätzlichen Querkerbe kreuzen. Kar nannte ihn den sprechenden Stab. Feuerhaar und Roter Wolf zählten drei Kerben, und über der letzten lag sogar ein Querstrich.
    Die Nächte in der Höhle der Hyänen waren lang gewesen. Schneestürme und die eisige Kälte hatten sie gezwungen, im Schutz der Höhle und des Feuers zu bleiben. So hatten sie dabei zusehen können, wie der sprechende Stab entstand. Kars Interesse an den Dingen, die man den fremden Riesen abgenommen hatte, war weder Feuerhaar noch Roter Wolf entgangen. Besonders der Hakenstock hatte Kars Neugier geweckt; oftmals hatte sie ihn lange betrachtet. Nach dem Tod von Singender Vogel band sie außerdem Vogelfedern, kleine Steine und Schneckenschalen oder verschiedene kleine Knochen, an den sprechenden Stab.
    Der Wind bewegte die an dünnen Lederstreifen herabhängenden Gegenstände, so daß ein stetes, geisterhaftes, leises Klackern und ein sanftes Rauschen von dem Stab ausgingen. Schweigend saßen sie nebeneinander und sahen hinaus in die weite Ebene des großen Stroms, die sich vom Fuß des Bergwaldes bis zu dem fremden Gebirge am Horizont erstreckte. Die Ruhe, die sie umgab, sprach mit solch einer Deutlichkeit, daß Worte nur störend gewirkt hätten. Roter Wolf fuhr sich mit der Hand über den Oberarm und fühlte mit den Fingern das kaum noch erkennbare Brandmahl. Ein starkes Gefühl von Stolz erfaßte ihn. Er spürte die Nähe seiner Ahnen und die verborgene Anwesenheit von Wolfsmensch und der Mutter Wölfin. Fortan brauchte er den Tod nicht mehr fürchten, denn es gab keinen Ort, an dem er lieber sterben wollte. Feuerhaar faßte sich ebenfalls an den Oberarm, fuhr sich über Schulter und Brust, bis seine Finger den kleinen ledernen Beutel befühlten, den er schließlich öffnete, um den Frauenkopf hervorzuholen. - Mit einem Mal fegte eine Bö ihre Gedanken weg, eine Wolke verdunkelte die Sonne. Die Blicke der Zwillinge hafteten auf der elfenbeinernen Büste, und eine seltsame bedrohliche Wirkung ging von ihr aus, so, als spräche sie zu ihnen. Einen Augenblick lang herrschte beängstigende Stille, sogar die mächtigen Himmelswesen hielten ihren Atem an ...
     
    An diesem Tag erreichten sie einen kreisförmigen, dunklen See. Dieser Ort lag auf einem der höchsten Gipfel und galt

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