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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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den Stämmen des Bergwaldes stets als heilig, denn hier trafen die Großen Mächte aufeinander. Kar berichtete, wie ihre Vorfahren hier einst Haarschwänze und Vielhörner gejagt, und mit Gruppen rivalisierender Jäger hier oben erbittert um Beute gekämpft hatten. In der kurzen, schneefreien Zeit war der See spärlich umringt von krüppeligen Kiefern und niederen Sträuchern, die verankert in den Spalten der Felsen wuchsen. Das Seeufer säumte dann ein flächiger Bewuchs von Gräsern und vereinzelten gelb, weiß und lila blühenden Kräutern. In dieser Zeit ähnelte die Gipfellandschaft dem Land der großen Bären. An all das erinnerte sich Kar noch. Doch jetzt lag Schnee, obwohl das Große Himmelsfeuer längst erwacht und sein Schein hell und warm war. Das reflektierende Sonnenlicht blendete. Nun, da sie den Bergsee erreicht hatten, war das Tal der Ahnen nicht mehr weit. Kar führte sie rasch weiter, wieder hinunter in schneefreies Gebiet.
    Bärenpranke und die anderen Spitzgesichter folgten irgendwann nur noch widerwillig. Es war an der Zeit, einen geeigneten Lagerplatz zu suchen. Sie wußten, es würde bald dämmern.
    „Nur ein Vogel! Leinocka, warum fürchtest du dich? Du bist ebenso wie ich und Kar im Bergwald aufgewachsen. Spürst du nicht die Nähe der Ahnen? Sie beobachten und beschützen uns. Sie führen uns. Bald werden wir an den Orten tanzen, wo der Stamm der Mutter Wölfin Kinder schon immer lebte. Wir werden die alten Geschichten erzählen und die heiligen Plätze ehren.“
    Für einen Moment unterließ es Leinocka, fortwährend argwöhnisch über ihre Schultern zu spähen und schenkte Maramir ihre Aufmerksamkeit. Mit Körpersprache und einem geübten Ausdruck ihres Gesichtes antwortete Leinocka. Worauf Maramir sich umsah und horchte. Dann legte sie die Hand auf Leinockas Schulter und sagte: „Den Kindern des Mächtigen Bären ist der Wald fremd. Ihre Augen und Ohren müssen sich erst daran gewöhnen!“ Maramir sah sich noch einmal aufmerksam um. „Mag sein, daß es die Ahnen sind. In Wolfsgestalt beobachten sie uns, aber sie zeigen sich uns nicht. Das Tal der Ahnen ist nah!“
    Kars Schritte wurden schneller. Allen voran suchte sie einen Weg durch das Unterholz. Ein Rauschen war zu hören. Die Aufregung der Zwillinge wuchs, während sie sich an Kars Fersen hefteten. Die verdächtigen Geräusche im Dickicht vor und neben ihnen bemerkten sie zunächst nicht - doch dann blieben sie plötzlich stehen und horchten auf. Auch Kar hielt mit einem Mal inne und lauschte.
    „Die Ahnen empfangen uns!“, sagte sie mit zitternder Stimme, als längere Zeit nichts außer dem Rauschen zu hören war. „Sie sind hier, in der Gestalt des Wolfes.“
    Vorsichtig ging Kar weiter. Alle folgten ihr leise und umsichtig, bis das Rauschen unvermittelt deutlich lauter wurde und sie an einem Abgrund standen. Gegenüber lagen steile, gelb schimmernde Felshänge. Aus der Tiefe stiegen winzige Wassertropfen empor und benetzten ihre Wangen. Durch Bäume hindurch konnten sie erkennen, wie Wassermassen einen Abgrund hinabstürzten. Vor ihnen lag jene Schlucht, die von den Kindern der Mutter Wölfin seit jeher das Tal der Ahnen genannt wurde; jener Ort, an den alle Seelen der Mutter Wölfin Kinder nach dem Tod hingingen, um dort weiterzuleben und in Wolfsgestalt in diese Welt zurückkehren zu können. Hier endete ihr menschliches Leben, wenn sie diese Welt verließen.
    „Ihr Ahnen, ich bin Kar. Die Tochter von Mutter Weißhaar. - Seelen der Wölfe, wir sind zurück! Die alten Lieder werden erklingen. Euer Geist soll helfen die Trommeln zu schlagen und uns im Tanz führen! Gebt dem Stamm Kraft und wacht über jeden von uns! - Ihr Ahnen, bei uns sind die Kinder des Mächtigen Bären ...“
    Während Kar mit lauter Stimme ihre direkten Ahnen namentlich anrief, trat Roter Wolf vor. In ein Stück Hyänenfell gehüllt, hielt er den mit angetrockneter Haut umhüllten Schädel von Singender Vogel, so daß Feuerhaar ihn respektvoll entblößen konnte. In dem Augenblick unterbrach Adlerkralles Schrei den Ritus. Flüchtig erkannten sie einen Schatten, der durch das Unterholz huschte. Als Feuerhaar sah, daß Bärenpranke dem Schatten nachjagte, rannte er blindlings hinterher ...
    Roter Wolf und die anderen hingegen sahen etwas im nahen Dickicht ... Die Gefahr kam von vorn und von den Seiten. - Und im Rücken fühlten sie den kalten Atem des feuchten Schlundes ...
    Feuerhaar gelang es kaum Bärenpranke zu folgen, Äste und Zweige schlugen ihm

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