Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
Vom Netzwerk:
schaute an seinen wunden Handgelenken vorbei in den dunkelblauen Himmel, wo bereits die ersten Sterne leuchteten. Ihn quälte die Frage, was aus den anderen geworden war. Etwas berührte seine Schulter. Neben ihm baumelte, mit offenen, toten Augen, Bärenprankes abgetrennter Kopf. Dann sah er in das höhnisch grinsende Gesicht des Mannes, der Bärenprankes Haupt am Schopf trug und ihm den Schädel nun ins Gesicht schwenkte. Feuerhaar versuchte, den vertrauten Geruch Bärenprankes einzufangen ... aber da war nur der Geruch von geronnenem Blut und Tod. Er hoffte auf einen Laut aus Bärenprankes offenem Mund; sein mächtiger Geist wohnte noch immer in dem Schädel. Feuerhaar lauschte ... aber er konnte nichts hören. Tränen stiegen in ihm auf. Er erblickte das Auge des Mächtigen Bären; der Fremde wagte, es um den Hals zu tragen. In aufloderndem Zorn riß Feuerhaar den Kopf hoch und spuckte dem hochgewachsenen Rotgesicht verächtlich in seine höhnisch grinsende Miene. Schlagartig veränderte sich der Ausdruck des Hünen. Augenblicklich holte der Riese aus und schlug mit Bärenprankes Schädel zu. Feuerhaar spürte, wie ihm das eigene, warme Blut übers Gesicht lief und sein linkes Auge allmählich zuschwoll. Er zweifelte nicht im geringsten daran, daß ein qualvoller Tod auf ihn wartete; Schmerz und Schmach würde er durchleiden müssen, bevor seine Seele den Körper letztendlich verlassen würde. Dennoch wünschte er sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als das Rotgesicht vorher zu töten ...
     
    Der Tag erlosch, und je näher die Nacht rückte, desto bewußter wurde Roter Wolf, daß sie an diesem Ort nicht bleiben durften. Aneinandergeschmiegt hockten sie auf einer Sandbank, nahe des Wasserfalls. Die feuchte Kälte kroch durch das dickste Fell. Er spürte den kalten Atem des nahenden Todes, sah in die hoffnungslosen Gesichter der Frauen und schließlich erwachte in ihm der Drang zu handeln. Er sprang auf und ergriff die einzige Lanze, die ihnen noch geblieben war.
    „Wir werden den Weg des Wassers gehen!“, rief er ihnen zu, trat entschlossen ins hüfthohe Naß und folgte der Strömung, bis es nicht mehr weiterging. Im Dämmerlicht des vergehenden Tages sah er, soweit er sich vortasten konnte, dem fallenden Wasser nach. - Bis zu einer kurzen Felsnase, auf die das Wasser prasselte, schaffte er es hinunterzuschauen; der Rest des Abgrundes blieb ihm verborgen. Ein Sprung ins Ungewisse versprach gebrochene Knochen, aber keinen Weg hinaus. Vorsichtig wagte er einen Versuch hinabzuklettern - die Felsen waren glatt und ohne Halt; die Kraft des Wassers würde ihn mitreißen. Unbeirrt stapfte er ans steile Ufer und kletterte an jungen, schlanken Bäumen, die in den Felsnischen wuchsen, den Hang entlang. Ruckartig brach eine der Baumwurzeln aus dem Gesteinsspalt, in den sie verwachsen war und er verlor den Halt unter seinen Füßen. Hastig griff er nach den Ästen des umstürzenden Baumes und bekam einen armdicken Ast zu fassen. Ehe er sich versah, baumelte er über dem tosenden Wasserfall. Die Baumkrone ragte darüber hinaus, während ein Teil der Wurzeln noch immer im Fels verankert war. Einige Male mußte er nachgreifen, während der Baum sich immer tiefer neigte. Als er hinabblickte, sah er, daß unter ihm ein Becken den Sturzbach auffing und die Strömung zähmte. Schnell entschlossen hielt er den Atem an, ließ sich fallen und tauchte platschend ins eiskalte Wasser ein. Händeringend und zappelnd bemühte er sich darum, nicht unterzugehen, und als er schließlich nach Luft schnappend seinen Kopf aus dem Wasser reckte, berührten seine Füße den Grund; überrascht bemerkte er, daß der Wasserstand ihm lediglich bis zum Hals reichte. Er sah den Wasserfall hinauf, und nach einigem Abwägen rief er den anderen zu, daß sie ihm folgen sollten.
    Werferin war die erste, die ihm zögerlich folgte. Auf dem Stamm des umgestürzten Baumes robbte sie bis zu den ersten starken Ästen, hangelte sich daran hinaus und ließ sich über dem Becken fallen ... Die anderen schnürten alles, was sie noch besaßen, zu Bündeln und warfen sie Roter Wolf zu, der diese gemeinsam mit Werferin zwischen Äste und Zweige am Ufer klemmte. Danach folgte Tanzt Viel. Kar, Leinocka und Maramir wickelten Rennjawe und Tedannalei behutsam in Fellüberwürfe, die Maramir ihren Müttern fest auf den Rücken band, damit sie den anderen folgen konnten.
     
    Der Ruf der Wölfe, den er in der Dämmerung vernommen hatte, schenkte Feuerhaar neuen Mut.

Weitere Kostenlose Bücher