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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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Ungewissheit, was mit ihm passieren würde, fürchtete, erwartete er jedesmal sehnsüchtig den Besuch der geheimnisvollen, schönen Frau, die stetig durch seine Gedanken geisterte. Ein- oder zweimal am Tag kam sie, immer in Begleitung des Alten oder eines bewaffneten Jägers. Niemals kam sie allein. Sie sprach mit ihm oder sah ihn einfach nur ernst und fragend an, und immer hielt sie in der Hand ihr eigenes elfenbeinernes Abbild. Bestimmt wollte sie von ihm wissen, woher er es hatte. Doch sie verstand Feuerhaars Sprachen und Gesten nicht. Außerdem wäre er klug genug, eine Lüge zu erfinden, um das wahre Geschick der toten Jäger ihres Volkes nicht preiszugeben ... Diese Frau war schön und je öfter er sie ansah, desto schöner und anziehender wirkte sie auf ihn. Seltsamerweise verblaßte, je genauer er sie betrachtete, die Ähnlichkeit mit der elfenbeinernen Skulptur zunehmend. Allmählich begann er sich nach dieser Frau zu verzehren, und es schmerzte ihn, wenn sie sich von ihm abwand und kaltherzig zurückließ. Seine einzige wirkliche Gesellschaft waren Kinder, die sowohl gütig als auch grausam mit ihm umgingen, je nachdem wie ihnen der Sinn stand und wie groß ihr Interesse an ihm gerade war.
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    Am fünften Tag wartete er umsonst. Stattdessen kamen zwei Männer, banden seine Füße zusammen und lösten die Fesseln seiner Hände, die auf seinem Rücken zusammengebunden waren. Sie boten ihm reichlich zu essen an, mitunter sogar frisches, gebratenes Fleisch. Wenngleich Feuerhaars Stolz es auch ablehnte, griff er dennoch zögernd nach einem Stück Fleisch, roch zuerst daran und verschlang es dann gierig. Ihm entging nicht, wie die beiden ihn dabei ansahen. Sie lächelten, beinahe freundlich, und dennoch bemerkte er ein tückisches Funkeln in ihrem Blick. Nachdem er gegessen hatte, gaben sie ihm einen dreifingerdicken, gerade gewachsenen Birkentrieb und einen abgeflachten, scharfkantigen Steinkeil. Dann deutete der Schmächtigere der beiden auf seine Lanze und tippte mit dem Stiel an den Stock, den Feuerhaar fragend ergriffen hatte. Feuerhaar aber sah ihn nur ratlos an. Unvermutet schlug ihm der andere schroff mit dem Stiel seiner Lanze an den Oberarm. Der ziehende Schmerz zog sich bis in Feuerhaars Fingerspitzen. Da sah er die bedeutungsvolle Geste, die Braunbart in die Luft zeichnete. Eifrig schien er ihm etwas klar machen zu wollen und Feuerhaar versuchte, seine Zeichen zu verstehen. So begann er mit dem Keil, den er in seiner Faust hielt, die Rinde des Stockes abzuschälen. Am zufriedenen Ausdruck seiner Bewacher erkannte er, daß er offenbar verstanden hatte, was sie von ihm wollten. Er vermutete, daß man von ihm verlangte, einen Lanzenstiel anzufertigen. Zum ersten Mal sah er so etwas wie ein Lächeln in Braunbarts Gesicht. Seine Augen glänzten und Feuerhaar konnte erkennen, daß immer noch ein Feuer in Braunbarts gekrümmtem, schwachem Körper wohnte; es schlief nur.
    Nach und nach lernte Feuerhaar, seine Hände wieder zu gebrauchen. Außerdem bedeckte man seinen Unterschlupf mit Fellen, damit er vor Regen und Wind geschützt war, und am Abend brannte ein kleines Feuer davor.
     
    Am folgenden Morgen kamen kichernde Kinder herbeigelaufen, stupsten ihn aufgeregt und frech an, begannen untereinander lautstark zu rangeln und bewarfen Feuerhaar mit kleinen Steinen. Auch die Erwachsenen zeigten an diesem Tag ein besonderes Interesse an ihm: Sie lächelten und riefen ihm Worte in ihrer fremden Sprache zu. Man beäugte ihn neugierig und abschätzend und redete über ihn. Wieder brachten sie ihm zu essen, lösten seine Fessel an den Händen und gaben ihm einen unbehauenen Stein, einen faustgroßen Klopfer und einen vorgefertigten Meißel. Dieses Mal sollte er offensichtlich eine Lanzenspitze schlagen. - Das Ergebnis war eine grob zurechtgehauene Steinspitze, die von jedem, der vorbeikam, nur spöttisch belächelt wurde. Schließlich verlangte man von ihm, diese an dem fertigen Lanzenstiel zu befestigen. Alles, was er dafür benötigte, war ihm bereits gebracht worden: eine Schale mit Baumharz, ein kurzes, abgeflachtes Holzstäbchen, eine dünne Sehne und ein Feuer. Seine Hände zitterten unter den Augen seiner Zuschauer, und seine Finger gehorchten ihm kaum. Spott und Gelächter machten ihn nervös und aggressiv. Nur einer zeigte Mitleid: Braunbart. Es fiel ihm deutlich schwer, die Demütigung mitanzusehen. In seinem Ausdruck glaubte Feuerhaar zu erkennen, daß er darunter beinahe ebenso litt wie Feuerhaar

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