Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
meinem Bruder?« erkundigte Bard sich eifrig. »Ist er gesund und glücklich, hat Carolin ihn gut behandelt? Denn ich zweifle nicht daran, seit Königin Ariel zu Carolin floh, war Alaric in seinen Händen und nicht in ihren.«
>,Ich habe ihn noch nicht gesehen«, antwortete Dom Rafael ernst.
»Er ist immer noch in der Obhut Varzils. Der offizielle Austausch soll später stattfinden, denn Varzil, so hörte ich, ist von Carolin eine Botschaft aufgetragen worden, und er hat um eine offizielle Audienz gebeten, bei der er sich ihrer entledigen will.«
Bard hob die Augenbrauen. Also war der Bewahrer von Neskaya zu einem Hastur-Lakai herabgesunken? Vielleicht war es noch schlimmer, als er annahm, und alles Land von den Kilghardbergen bis Thendara wurde bereits von den Hasturs regiert! Würde Asturias in den nächsten paar Jahren das gleiche Schicksal ereilen? Nur über meine Leiche!
Und dann überlief ihn ein ahnungsvoller Schauer. Wenn es tatsächlich so kommen würde, dann bestimmt über seine Leiche! Aber das war auf jeden Fall das Schicksal des Soldaten. Und was auch geschehen mochte, diesem Schicksal konnte er kaum entrinnen.
Wenn Alarie zurückgegeben wurde, gab das Dom Rafael wenigstens einen Vorwand, die Krönung durchzuführen, denn Rafael betonte ständig, daß er nicht der König, sondern Regent für Alaric sei. Bard fragte sich, was der Unterschied zwischen dem einen Kinderkönig und dem anderen sein mochte. Aber Alaric war jedenfalls hier und nicht wie Valentine in den Schutz eines anderen Königreichs geflohen. Dann wurde Bard bewußt, daß er an Alaric dachte, wie er es vor beinahe sieben Jahren getan hatte. Er stellte ihn sich als Kind vor, das sich über die abgelegten Spielzeuge des großen Bruders freute. Aber Alaric mußte jetzt vierzehn oder fünfzehn sein, fast schon in dem Alter, wo er auch dem Gesetz nach als Mann galt. Sein eigener Sohn Erlend war nicht viel jünger, als Alarie bei ihrem letzten Zusammensein gewesen war! Zeit. Die Zeit war der Feind jedes Mannes. Er selbst hatte länger gelebt als die meisten, die sich ihr Brot als Söldner verdienten. Er sollte keine Zeit verlieren, zu heiraten und legitime Söhne zu zeugen. Er mußte das Königreich für seinen Bruder sichern, und dann mußte er eine Möglichkeit finden, die Insel des Schweigens anzugreifen, auch wenn er dazu einer ganzen Armee von Zauberern bedurfte, und Carlina zurückgewinnen.
Solange sie lebt, werde ich keine andere Frau heiraten! Zum ersten Mal tauchte der Gedanke in ihm auf, daß er vielleicht einen schweren Fehler begangen hatte. Wenn Carlina ihn wirklich nicht wollte, mochte es andere geben, die es taten. Wieder dachte er an Melora … aber nein. Carlina war König Ardrins Tochter, sie war seine Verlobte, und wenn sie ihn nicht wollte, würde er sie bald lehren, wo ihre Pflicht lag. Keine Frau verspürte jemals Lust, ihn zum zweiten Mal abzuweisen!
Rafael von Asturias entließ Dom Eiric von Serrais am nächsten Morgen.
»Aber warum jetzt, Vater?« fragte Bard. »Du hättest ihn doch sicher noch ein paarmal zehn Tage zurückhalten können!«
»Eine Sache des Protokolls«, erwiderte Dom Rafael grimmig. »Varzil von Neskaya, der ein Ridenow ist, wünscht eine Unterredung mit ihm, und das kann er höflicherweise nicht tun, bevor er sein Hauptgeschäft hier, den Austausch der Geiseln, erledigt hat, und mit meinem Gefangenen kann er nicht ohne meine Erlaubnis sprechen. Deshalb werde ich Dom Eiric den Schwur abnehmen und ihn auf den Weg schicken, bevor Varzil mit ihm sprechen kann. Ich möchte nicht, daß noch mehr Ridenow-Lords zu Verbündeten der Hasturs werden!« Bard nickte und dachte darüber nach. Sobald Dom Eiric den Eid geschworen hatte, ein halbes Jahr lang nicht gegen Rafael von Asturias vorzugehen, konnte er sich auch nicht rechtmäßig mit einem Feind von Asturias verbünden. Bard besaß umfangreiches Wissen über militärische Taktik und Strategie, aber die Diplomatie war ihm noch neu. Mit seines Vaters Wissen um die Staatskunst und seinen eigenen Fähigkeiten im Krieg sollte es ihnen jedoch gelingen, das ganze Land erfolgreich zu verteidigen.
Bard stellte fest, daß er neugierig darauf war, diesen Varzil zu sehen, der sich mit den Hasturs verbündet hatte. Neskaya war seit mehr als zweihundert Jahren in den Händen der Ridenows gewesen, obwohl es weit außerhalb des Serrais-Gebietes lag. Damals hatten die Hasturs und die Ridenows einen langen Krieg miteinander geführt, und Friede war erst unter der Regierung
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