Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
seine schiefen Schultern waren wie eine gespenstische Parodie auf Geremys körperliche Mängel. Bard konnte sich nicht zurückhalten.
»Vater!« rief er und trat vor. »Willst du es zulassen, daß sie uns in unseren eigenen Hallen verhöhnen? Siehst du, was sie meinem Bruder aus Rache für Geremys Verletzungen angetan haben? Ich will unter dem Wahrheitszauber schwören, daß Geremy durch einen unglücklichen Zufall, nicht durch Absicht verwundet wurde. Das hat Alarie nicht von Carolin verdient! « Er zog seinen Dolch. »Bei allen Göttern, Hasturbrut, verteidige dich, denn diesmal ist dein Leben verwirkt, und es wird kein unglücklicher Zufall sein! Ich werde nachholen, was ich vor sieben Jahren hätte tun sollen … «
Er packte Geremy bei der Schulter und riß ihn herum.
»Zieh deinen Dolch, oder ich steche dich an Ort und Stelle nieder!« »Aufhören! Ich befehle es!«
Varzils Stimme war nicht laut, aber sie zwang Bard, seinen Griff zu lösen und bleich und schwitzend von Geremy zurückzutreten. Seit vielen Jahren hatte er keine Befehlsstimme mehr von den Lippen eines ausgebildeten Laranzu vernommen. Varzils schlanke Gestalt schien drohend über ihm emporzuragen. Bards kraftlosen Fingern entfiel der Dolch.
»Bard di Asturien«, sagte Varzil, »ich führe keinen Krieg gegen Kinder, und auch Carolin tut es nicht. Deine Anschuldigung ist ungeheuerlich, und ich stehe hier im Licht des Wahrheitszaubers, um deine Lüge zu widerlegen. Wir berichteten euch nichts über Alarics Krankheiten, weil wir fürchteten, ihr würdet zu genau diesem Schluß kommen. An Alarics Hinken sind wir schuldlos. Vor fünf Jahren erkrankte er an dem Muskelfieber, das so viele Kinder im Seengebiet dahinrafft. Alle Heiler Ardrins taten taten ihr Bestes für ihn. Sobald er imstande war zu reisen, wurde er zur Behandlung nach Neskaya geschickt. Als Königin Ariel aus dem Land floh, befand er sich in meiner Obhut zu Neskaya, und das ist der Grund, warum er nicht hier zurückgelassen werden konnte, um mit euch wiedervereinigt zu werden. Aber trotz all unserer Anstrengungen verdorrte sein Bein, und sein Rücken wurde schwach. Er kann jetzt wieder laufen, ohne mehr als eine Beinschiene zu brauchen, und er hat die Fähigkeit des Sprechens zurückerlangt. Ihr könnt Alarie selbst fragen, ob er sich über uns in irgendeiner Weise beschweren will.«
Bard starrte den Jungen entsetzt an. Also dieser arme Krüppel war der prächtige, starke, männliche Bruder, der ihm helfen würde, seine Armeen anzuführen! Er hatte das Gefühl, die Götter verhöhnten ihn. Dom Rafael breitete die Arme aus, und Alarie hinkte vorwärts und warf sich an seines Vaters Brust.
»Mein lieber Sohn«, flüsterte Dom Rafael bestürzt und verwirrt, und der Junge sah verzweifelt von seinem Vater zu Varzil.
»Lieber Vater«, sagte er, »an dem, was geschehen ist, trägt mein Verwandter Ardrin keine Schuld, und Lord Varzil erst recht nicht. Als ich krank wurde und noch viele Jahre danach sorgten er und seine Leroni Tag und Nacht für mich. Sie sind so gut und so freundlich zu mir gewesen, weder du noch meine Mutter hätten mehr tun können.« »Ihr Götter da oben! « stöhnte Dom Rafael. »Und Ardrin schickte mir keine Nachricht? Auch Ariel nicht, als sie ins Exil floh?«
»Ich war schon Jahre vorher nach Neskaya geschickt worden«, gab Alarie zurück, »und da du nie an den Hof kamst, glaubte ich nicht, daß es dich sehr kümmerte, was mir zustieß.« Auf eine distanzierte, ironische Art, die Bard überzeugte, daß der Verstand seines Bruders, mochte auch sein Körper verkrüppelt sein, in bester Ordnung war, setzte er hinzu: »Bestimmt warst du nicht so erpicht darauf, mich zurückzuhaben, daß du mit Carolin sehr lange um mich gestritten hättest. Ich wußte, du würdest den Thron für mich halten, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, wo du mich zu sehen bekamst. Nicht sicher war ich mir, ob du mich danach überhaupt noch haben wolltest.« Dom Rafael erklärte loyal: »Du bist mein eigener lieber Sohn, Und ich heiße dich willkommen auf dem Thron, den ich für dich in Besitz genommen habe.« Aber Bard vernahm den unausgesprochenen Zusatz: Wenn es dir möglich ist, ihn zu halten, und er war überzeugt, auch Alarie konnte ihn hören.
Varzils Gesicht war ruhig und voller Mitgefühl; sein Blick ruhte auf Alarie und Dom Rafael, als habe er keinen anderen Gedanken als den an das Kind und seinen niedergeschmetterten Vater. Aber Bard wußte ganz genau, daß Varzil, auch wenn ihm das Wohlergehen
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