Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
ist der König’ « «
»Nein, umgekehrt. Mein jüngerer Bruder
ist der legitime Sohn. Ich bin Nedestro … mehr als ein Bastard, aber nicht in der Erbfolge.«
»Auf der verkehrten Seite der Decke geboren, wie’?«
Einen Augenblick lang blickte Bard verwirrt drein, dann begriff er und lachte vor sich hin. »So kann man es ausdrücken. Über den alten Mann kann ich mich nicht beklagen; er hat mich in seinem eigenen Haus aufgezogen und mir geholfen, als ich Streit mit dem früheren König hatte. Und jetzt hat mir mein Bruder den Befehl über seine Armee gegeben.«
»Also, wozu brauchst du mich?« verlangte Paul zu wissen, »und was ist für mich drin?«
»Zumindest Freiheit«, antwortete Bard. »Wenn du mir innerlich ebenso ähnlich bist wie äußerlich, bedeutet das eine Menge für dich. Und außerdem? Ich weiß es nicht. Frauen, wenn du willst, und noch einmal, wenn du mir gleichst, wirst du sie wollen und auch bekommen. Reichtum, wenn du nicht zu habgierig bist. Abenteuer. Vielleicht die Chance, Regent eines Königreichs zu werden. Auf jeden Fall ein besseres Leben, als du in deinem Gefängnis gehabt hast. Ist das nicht schon einmal ein guter Anfang?«
Es klang ganz danach. Er würde ein Auge auf Bard halten müssen, aber wenigstens war er nicht zu dem Zweck hergebracht worden, im Gefängnis zu verfaulen, damit sein Double draußen herumlaufen konnte.
Aus Bards Gedanken fing er Bilder auf, die ihn bereits erregten. Verdammt noch mal, das hier mochte eine Welt sein, in der es sich zu leben lohnte, keine zahme Welt, deren Funktionieren davon abhing, daß jedermann auf ein Niveau strikter Konformität hinabgedrückt wurde und man einem, der sich aus der Masse heraushob, den Kopf abhackte!
Viele wichtige Persönlichkeiten hatten Doubles, Generäle, Herrscher. Aber irgendwie hatte er den Eindruck gewonnen, daß es sich um mehr als das handelte. Sie hätten wahrscheinlich jemanden finden können, vielleicht einen Verwandten, der Bard einigermaßen ähnlich sah, ohne so weit gehen zu müssen. Mit einem Mann, der Sprache und Sitten des Landes kannte, wäre es auch viel leichter gewesen. Einer wie Paul, der sich in dieser Gesellschaft nicht einmal anziehen konnte, ohne daß man ihm zeigte, wie, und der sich vorerst durch Gedankenübertragung verständigen mußte - was außerdem nur mit einer Person klappte! -, beschwor große Schwierigkeiten herauf. Deshalb mußte es einen guten Grund, einen zwingenden Grund geben, daß man sich die Mühe mit ihm machte. Sie brauchten jemanden, der wie Bard war, aber nicht nur äußerlich, sondern ebenso innerlich.
Dies mochte eine wirkliche Welt sein, die ihm mehr als ein Leben innerhalb enger Grenzen bot, eine wirkliche Welt, in der er ein wirklicher Mann unter wirklichen Männern sein konnte, die keine blutlosen Androiden und Pfaffen waren!
Bard stand auf.
»Hungrig? Ich werde dir etwas zu essen bringen lassen. Nach dem, was mein Vater sagt, wird dir schmecken, was mir schmeckt. Und Kleider sollst du auch bekommen. Du hast ungefähr meine Größe … « Er erinnerte sich und brach in hartes Gelächter aus. »Nein, verdammt noch mal, du hast meine Größe. Wir können nichts unternehmen, bis deine Haare nachgewachsen sind - ohne den Kriegerzopf kann ich mich nicht blicken lassen. Das gibt uns etwas Zeit, dir die Grundbegriffe des zivilisierten Lebens hier beizubringen. Anfängerwissen im Schwertkampf wirst du sicher haben oder? Deine Welt muß merkwürdiger sein, als ich mir vorstellen kann! Ich bin kein Duellant, also brauchst du kein eleganter Fechter zu werden, aber du mußt die Selbstverteidigung beherrschen. Und du mußt die Sprache lernen. Ich werde nicht ständig in deiner Nähe sein, und es ist lästig, wenn man immerzu die Gedanken des anderen lesen muß. Bis nachher.« Ohne weitere Förmlichkeit stand er auf und ging. Paul blieb nichts übrig, als den Kopf zu schütteln und sich von neuem zu fragen, ob dies nicht doch nur ein bizarrer Traum in der Stasis-Zelle war. Nun, wenn es ein Traum war, dann konnte er ihn ebensogut genießen.
2 Doch schon zehn Tage später brachen sie nach Burg Asturias auf. Dom Rafael hatte die Regierung nicht länger in den unerfahrenen Händen Alarics lassen wollen. Deshalb mußte der Plan aufgegeben werden, so lange zu warten, bis Paul imstande war, Bard perfekt darzustellen. Man kam zu dem Schluß, daß es im Gegenteil nur günstig war, wenn Paul mit Bard zusammen gesehen und eine leichte Ähnlichkeit festgestellt wurde. Dann würde später, wenn
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