Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
mir erzählt, der Lord General sei gestern gekrönt und verheiratet worden. Und nach dem Gesetz seid Ihr, die Ihr bereits mit ihm verlobt wart, ebenfalls seine Frau. Deshalb hat er im Augenblick mindestens eine legitime Frau zuviel. Ich bin überzeugt, er wird wenigstens von einer wieder frei sein wollen … und so, wie ich ihn kenne, von beiden. Vielleicht, Carlina - Mutter Liriel -, wird die Aufklärung dieses Mißverständnisses alles zum Guten wenden, denn irgendeine Entscheidung seiner Ehe wegen muß ja fallen.« » Hoffen wir es.« Impulsiv ergriff Carlina Meloras Hand.
»Kommt und ruht Euch aus, vai leronis. Ich kann für Euch einen Platz bei den Hofdamen finden; diese schicke ich nach unten, damit sie sich um die Verwundeten und Kranken kümmern, und Ihr müßt schlafen.«
Bard di Asturien schritt inzwischen durch die Gänge der Burg auf die Räume zu, die er bewohnt hatte, seit Alaric gekrönt worden war und ihn zum Lord General ernannt hatte. Ein Wachposten stand vor der ‘für und teilte ihm mit, der Lord General sei - vermutlich - anwesend. Bard dachte einen Augenblick nach. Natürlich konnte er verlangen, daß man ihn, den Lord General, durch die Vordertür einließ. Die meisten Männer in der Armee kannten den vom Sehen. Aber er war zu dieser Konfrontation noch nicht ganz bereit. Deshalb ging er über einen Korridor zu einem Hintereingang, von dessen Vorhandensein nur einige wenige seiner Männer wußten, zu denen er volles Vertrauen hatte.
Er durchquerte die Zimmer, als habe er sie nie zuvor gesehen. Das hatte er auch nicht; der Mann, der noch vor ein paar Nächten hier geschlafen hatte, war ein anderer gewesen. Sie lagen im Bett des großen Schlafzimmers, Paul auf dem Rücken, und Bard betrachtete sein eigenes Gesicht mit seltsamem, leidenschaftslosem Interesse. Melisandra schmiegte sich an ihn, den Kopf auf seiner Schulter, und selbst im Schlaf hatte die Art, wie Paul seinen Arm um die Frau gelegt hatte, etwas Beschützendes. Ihre roten Locken waren aufgelöst und bedeckten Pauls Gesicht.
Hätte er sie vorher so gefunden, in seinem eigenen Schlafzimmer, dachte Bard gleichmütig, dann hätte er keine Sekunde gezögert, seinen Dolch herauszureißen und ihnen die Kehlen durchzuschneiden. Selbst jetzt kam ihm dieser Gedanke einen Augenblick lang gar nicht so abwegig vor. Paul hatte versucht, den Thron zu usurpieren. Er war in Bards Namen gekrönt worden, und indem er sich vor den Augen des halben Königreichs mit Melisandra trauen ließ, hatte er den Thron von Asturias mit einer Königin versorgt, die nun in aller Öffentlichkeit wieder abgesetzt werden mußte. Selbst wenn Paul bereit war, auf die Identität des Lord Generals zu verzichten, blieb Bard immer noch mit Melisandra verheiratet. Welche Verwicklungen! Und mit dem, was Bard getan hatte, hatte er Carlina zu seiner gesetzmäßigen Frau gemacht, und auch sie konnte er nicht in aller Öffentlichkeit wiederabsetzen! Im Namen aller Götter, wie sollte er diese Probleme lösen? Bard überlegte kurz, ob er das Zimmer ebenso leise wieder verlassen sollte, wie er es betreten hatte. Sollte er sein Pferd nehmen und in die Berge davonreiten’? Er wollte das Königreich Asturias nicht. Selbst der Schock über den Tod seines Vaters und Alarics hatte ihm die Überzeugung nicht genommen, ,an werde einen anderen König finden. Jenseits des Kadarin gab es viele kleine Königreiche, und er hatte sich schon einmal seinen Lebensunterhalt als Söldner verdient …
Aber was wurde aus seinen Männern, wenn er das tat? Paul besaß weder das notwendige Wissen, noch hatte er Interesse daran, für sie zu sorgen. Was wurde aus Carlina, aus dem Versprechen, das er der Schwesternschaft vom Schwert gegeben hatte, aus Melisandra, aus Melora? Nein, er hatte hier immer noch Verantwortungen. Und schließlich hatte er Paul ausdrücklich aufgetragen, den Platz des Lord Generals auszufüllen. Vielleicht hatte Paul einfach Bards Namen und guten Ruf geschützt - denn welchen Eindruck hätte es wohl gemacht, wäre bekannt geworden, daß der Lord General zur Zeit des heimtückischen Angriffs auf Burg Asturias davongelaufen war, um sich seiner Verbrechen wegen an der Schulter einer Frau auszuweinen? Paul mußte eine Chance bekommen, das alles zu erklären; er konnte ihn nicht im Schlaf töten.
Bard beugte sich über Melisandra und betrachtete mit einer Zärtlichkeit, die ihn selbst erstaunte, die auf ihren Wangen ruhenden rötlichen Wimpern, die vollen Brüste, über denen das dünne
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