Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
gehorchen.«
Als der alte Laranzu gegangen war, teilte Varzil Ordonnanzen dazu ein, den Leuten, die essen konnten, Frühstück zu bringen und sich um die anderen, die es nicht konnten, zu kümmern. Dann ging er in die Frauenabteilung der Großen Halle. Er fand Melora dort. Sie hatte ihr Kleid hochgeschürzt und sich ein Laken umgebunden.
»Nun, Kind, wie steht es hier?«
Sie grinste. »Asturias hat drei neue Untertanen, wer auch der König sein mag. Einen Soldatensohn und ein Küchenmädchen und, nach dem roten Haar zu urteilen, eine Leronis für seinen Ratgeberstab. Ich wußte gar nicht, daß ich Talent zur Hebamme habe, aber bis gestern habe ich auch nicht gewußt, daß ich auf einem Pferd reiten kann.«
»Nun, Bewegung ist die beste Vorbeugung gegen Wundschmerzen nach dem langen Ritt«, versicherte er ihr. »Doch jetzt, Breda, mußt du dich ausruhen. Und Ihr auch, gute Mutter«, sagte er zu Carlina in ihrem schwarzen Mantel.
»Ja.« Müde fuhr sie sich mit der Hand über die Augen. »Ich glaube, hier habe ich alles getan, was ich konnte. Diese Frauen können für die Verletzten sorgen, solange ich mich ausruhe.«
»Und Ihr, vai tenerézu?« fragte Melora.
Varzil antwortete: »Die Armee ist mir zur Verfügung gestellt worden; ich will mich mit Bard beraten, ob er nun Lord General oder König ist, aber vorher … « - er warf einen Blick auf den heller werdenden Himmel - »… will ich Kundschaftervögel aussenden, damit wir sehen, ob wir von den Aldarans angegriffen werden. Wenn sie eine Armee gegen Asturias führen, muß es Bard irgendwie gelingen, sie am Kadarin aufzuhalten. Und wenn nicht … nun, darüber können wir später nachdenken.«
Er ging, und Carlina fiel plötzlich ein, daß sie nichts mehr gegessen und getrunken hatte, seit Melisandra ihr gestern Suppe und Eierrahm hatte bringen lassen. Sie sagte: »Varzil hat mit mir gesprochen, als sei ich eine Priesterin Avarras.«
Beide Frauen gingen, ohne es merkwürdig zu finden, von der Voraussetzung aus, daß Melora genau wußte, was Carlina widerfahren war und warum. Melora sagte: »Ihr gehört immer noch der Göttin, oder nicht?«
»Immer. Aber selbst wenn ich zum See des Schweigens zurückkehren könnte, bin ich mir nicht sicher, ob ich es tun sollte. Ich glaube, wir haben auf unserer kleinen Insel zu isoliert gelebt, geschützt von mächtigem Zauber, und es hat uns nicht gekümmert, was in der Welt draußen vorgeht. Und doch … wie können unverheiratete Frauen ohne das in Sicherheit zusammenleben?«
»Die Schwesternschaft vom Schwert tut es«, stellte Melora fest. »Aber sie haben Mittel, sich zu schützen, die wir nicht haben«, wandte Carlina ein und dachte: Ich könnte niemals ein Schwert schwingen: ich bin eine Heilerin, ich bin eine Frau … Mir scheint es nicht zum Leben einer Frau zu gehören, Krieg zuführen, wohl aber, für andere zu sorgen …
»Vielleicht«, meinte Melora zögernd, »braucht die Göttin eure beiden Schwesternschaften, die eine, damit sie stark sei, und die andere, damit sie helfe und heile … «
Carlinas Lächeln war zitterig. »Sie werden wohl für unsere Art des Lebens nicht mehr Achtung haben als … « - das gestand sie kläglich »… wir für ihre. «
Meloras klare Stimme war keine Befehlsstimme, aber sie hätte es recht gut sein können. »Dann müßt ihr lernen, Achtung für die andere Lebensweise zu haben. Auch ihr seid Entsagende. Und die Menschen können sich ändern, wißt Ihr.«
Ja, dachte Carlina, wenn sich Bard so sehr ändern kann, ist Hoffnung, daß es jedermann auf dieser unruhigen Welt vermag! Ich muß mit Varzil darüber sprechen; als Bewahrer von Neskaya hat er vielleicht einige Antworten für uns.
Melora sagte: »Verzeiht mir, Mutter…« -damit benutzte sie den gegenüber einer Priesterin gebräuchlichen Ehrentitel - »… aber Ihr seid die Prinzessin Carlina, nicht wahr?«
»Das war ich. Ich habe diesen Namen vor vielen Jahren abgelegt.« Mit Schrecken dachte Carlina daran, daß sie nach gültigem Gesetz legitim mit Bard verheiratet war. Und wenn Bard sie nun geschwängert hatte! Was sollte ich mit einem Kind anfangen? Mit seinem Kind?
»Das dachte ich mir. Ich sah Euch einmal beim Mittsommerfest, aber ich glaube nicht, daß Ihr mich gesehen habt. Ich war nur Meister Gareths Tochter …«
»Ich habe Euch gesehen. Ihr tanztet mit Bard.« Da auch sie Laran hatte, setzte Carlina hinzu: »Ihr liebt ihn, nicht wahr?«
»Ja, doch er weiß es noch nicht.« Plötzlich kicherte Melora nervös. »Man hat
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