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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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nicht, mir Angst zu machen, denn mir kann man mit nichts mehr Angst machen. Ich muss mit Milva Barring reden und werde es tun, ob es dir passt oder nicht. Bleib hier, Rittersporn.«
    Die Dryade senkte den Kopf. Den Bogen auch.
    Aus dem Dunst tauchten neun Pferde auf, und Rittersporn bemerkte, dass wirklich nur auf sechs davon Reiter saßen. Er sah die Silhouetten der Dryaden, die aus dem Dickicht traten und den Reitern entgegengingen. Er sah, dass drei Reiter Hilfe beim Absitzen brauchten und dass man sie stützen musste, damit sie zu den rettenden Bäumen des Brokilon gelangen konnten. Andere Dryaden huschten wie Geister durch den Windbruch und über die Böschung, verschwanden im Nebel über dem Bandwasser. Vom gegenüberliegenden Ufer her ertönte ein Schrei, das Wiehern von Pferden, das Plätschern von Wasser. Dem Dichter schien es auch, als höre er das Sausen von Pfeilen. Doch er war sich dessen nicht sicher.
    »Sie haben sie verfolgt  ...«, murmelte er.
    Fauve drehte sich um, presste die Hand um den Bogengriff. »Sing du so ein Lied, táedh«, knurrte sie. »N’te sh’aent a’minne, nicht von Ettariel. Davon nicht, mein Lieber. Dazu ist nicht die Zeit. Jetzt ist die Zeit zu töten, ja. So ein Lied, ja!«
    »Ich bin nicht schuld an dem, was geschieht  ...«
    Die Dryade schwieg einen Moment lang, den Blick abgewandt. »Ich auch nicht«, sagte sie und ging in den Wald hinein.
    Der Hexer kam zurück, ehe eine Stunde vergangen war. Er führte zwei gesattelte Pferde  – Pegasus und eine braune Stute. Die Schabracke der Stute trug Spuren von Blut.
    »Das ist ein Pferd der Elfen, nicht wahr? Derjenigen, die den Fluss überschritten haben?«
    »Ja«, antwortete Geralt. Sein Gesicht und seine Stimme waren verändert und fremd. »Das ist eine Stute der Elfen. Momentan dient sie aber mir. Und wenn ich Gelegenheit finde, werde ich sie gegen ein Pferd eintauschen, das einen Verwundeten tragen kann und das, wenn der Verwundete herunterfällt, bei ihm bleibt. Dieser Stute hat man das ganz offensichtlich nicht beigebracht.«
    »Wir reiten fort?«
    »Du reitest fort.« Der Hexer warf dem Dichter Pegasus’ Zügel zu. »Mach’s gut, Rittersporn. Die Dryaden werden dich zwei Meilen stromauf begleiten, damit du der Soldateska aus Brugge nicht in die Hände fällst, die sicherlich noch auf dem anderen Ufer zu Gange ist.«
    »Und du? Bleibst du hier?«
    »Nein. Ich bleibe nicht.«
    »Du hast etwas erfahren. Von den Eichhörnchen. Du hast etwas über Ciri erfahren, nicht wahr?«
    »Mach’s gut, Rittersporn.«
    »Geralt  ... Hör mich an  ...«
    »Was soll ich mir anhören?«, schrie der Hexer und stockte plötzlich. »Ich kann sie doch  ... Ich kann sie doch nicht ihrem Schicksal überlassen. Sie ist ganz allein  ... Sie kann nicht allein sein, Rittersporn. Du wirst das nicht verstehen. Niemand versteht das, aber ich weiß es. Wenn sie einsam bleibt, wird aus ihr dasselbe, wie einstmals  ... Das, was einst aus mir geworden ist  ... Du wirst das nicht verstehen  ...«
    »Ich verstehe es. Und darum reite ich mit dir.«
    »Du bist verrückt. Weißt du, wohin ich will?«
    »Ich weiß es. Geralt, ich  ... ich habe dir nicht alles gesagt. Ich bin  ... Ich fühle mich schuldig. Ich habe nichts getan, habe nicht gewusst, was zu tun war  ... Doch jetzt weiß ich es. Ich will mit dir reiten. Will dir Gesellschaft leisten. Ich habe dir nichts gesagt  ... nichts von Ciri, von den Gerüchten, die im Umlauf sind. Ich habe Bekannte aus Kovir getroffen, und die ihrerseits haben die Gesandten erzählen hören, die aus Nilfgaard zurückgekehrt waren  ... Ich kann mir denken, dass diese Gerüchte sogar zu den Eichhörnchen vorgedrungen sind. Dass du schon alles von diesen Elfen weißt, die übers Bandwasser gekommen sind. Aber erlaube  ... dass ich  ... dass ich es dir erzähle  ...«
    Der Hexer schwieg lange, senkte entwaffnet die Hände. »Steig in den Sattel«, sagte er schließlich mit veränderter Stimme. »Du kannst es mir unterwegs erzählen.«
     
    An jenem Morgen war im Palast Loc Grim, der Sommerresidenz des Imperators, ungewöhnlich viel Bewegung. Umso ungewöhnlicher, als jede Art von Bewegung, Regung und Lebhaftigkeit den Gepflogenheiten des Nilfgaarder Adels zuwiderlief und es als Zeichen von Unreife galt, Unruhe oder Aufregung zu zeigen. Auf solches Verhalten reagierten die hohen Herren von Nilfgaard mit solcher Abscheu und Verachtung, dass sogar die unreife Jugend sich schämte, Lebhaftigkeit

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