Die Zeit der Verachtung
Hexers sofort im Dunkel des Korridors.
»Warum können dich Katzen so gar nicht leiden, Geralt? Hat es etwas zu tun mit ...«
»Ja«, fiel der Hexer ihm ins Wort. »Hat es.«
Eine Platte der Mahagonitäfelung glitt lautlos zur Seite und gab einen geheimen Durchgang frei. Codringher ging voran. Die Täfelung, zweifellos magisch in Bewegung gesetzt, schloss sich hinter ihnen, hüllte sie aber nicht in Dunkelheit. Aus der Tiefe des Geheimgangs drang Licht.
In dem Zimmer am Ende des Ganges war es kalt und trocken, und in der Luft hing ein schwerer, stickiger Geruch von Staub und Kerzen.
»Du wirst meinen Mitarbeiter kennenlernen, Geralt.«
»Fenn?« Der Hexer lächelte. »Nicht möglich.«
»Doch. Gib zu, du hast vermutet, dass Fenn nicht existiert.«
»Woher denn.«
Zwischen der bis an die niedrige Decke reichenden Ansammlung von Bücherschränken und -regalen ertönte ein Quietschen, und einen Augenblick später kam ein sonderbares Vehikel hervorgerollt. Es war ein hoher, mit Rädern versehener Sessel. Darin saß ein zwergwüchsiger Mann mit riesigem Kopf, der – unter Auslassung eines Halses – auf unproportional schmalen Schultern saß. Dem Mann fehlten beide Beine.
»Macht euch bekannt«, sagte Codringher. »Jakob Fenn, Rechtsgelehrter, mein Teilhaber und unschätzbarer Mitarbeiter. Und das ist unser Gast und Klient ...«
»Der Hexer Geralt von Riva«, vollendete der Krüppel den Satz lächelnd. »Das konnte ich mir ohne allzu viel Mühe denken. Ich arbeite seit etlichen Monaten an dem Auftrag. Folgt mir, meine Herren.«
Sie gingen dem quietschenden Sessel nach in das Labyrinth zwischen den Regalen, die sich unter der Last von Bänden bogen, derer sich die Universitätsbibliothek in Oxenfurt nicht geschämt hätte. Die Inkunabeln mussten, wie Geralt vermutete, über mehrere Generationen von Codringhers und Fenns angehäuft worden sein. Er war froh über den erbrachten Vertrauensbeweis, freute sich, endlich Fenn kennenlernen zu können. Er zweifelte jedoch nicht daran, dass die Gestalt, wenngleich hundertprozentig real, teilweise auch mythisch war. Der mythische Fenn, zweifellos ein Alter Ego Codringhers, war in der Gegend oft gesehen worden; der an den Sessel gefesselte Rechtsgelehrte jedoch verließ wahrscheinlich niemals das Gebäude.
Die Mitte des Raumes war besonders gut beleuchtet, dort stand ein niedriges, von dem Rollsessel aus zu erreichendes Pult, auf dem sich Bücher türmten, Packen von Pergament und Velinpapier, Zettel, Tinten- und Tuscheflaschen, Federbüschel und Tausende von rätselhaften Utensilien. Freilich waren nicht alle rätselhaft. Geralt erkannte Formen zum Fälschen von Siegeln und einen Diamantschaber zum Entfernen von Schrift auf amtlichen Dokumenten. Mitten auf dem Pult lag eine kleine Repetier-Kugelarmbrust, und daneben schauten unter Samtgewebe große Vergrößerungsgläser hervor, angefertigt aus geschliffenem Bergkristall. Solche Gläser waren selten und kosteten ein Vermögen.
»Hast du etwas Neues gefunden, Fenn?«
»Nicht viel.« Der Krüppel lächelte. Sein Lächeln war nett und sehr einnehmend. »Ich habe die Liste von Riences potentiellen Auftraggebern auf achtundzwanzig Zauberer reduziert ...«
»Das lassen wir vorerst ruhen«, unterbrach ihn Codringher rasch. »Zunächst interessiert uns etwas anderes. Erkläre Geralt die Gründe, aus denen die Agenten der Vier Königreiche ausgedehnte Suchaktionen nach der verschwundenen Fürstentochter von Cintra unternehmen.«
»In den Adern des Mädchens fließt das Blut von Königin Calanthe«, sagte Fenn, als sei er überrascht, etwas derart Offensichtliches erläutern zu müssen. »Sie ist die Letzte aus der königlichen Linie. Cintra hat große strategische und politische Bedeutung. Eine verschwundene, außerhalb der Einflusssphären befindliche Kronprätendentin ist ungünstig und vielleicht sogar bedrohlich, wenn sie unter falsche Einflüsse gerät. Zum Beispiel unter den Einfluss Nilfgaards.«
»Soweit ich mich erinnere«, sagte Geralt, »sind in Cintra Frauen von der erblichen Thronfolge ausgeschlossen.«
»Das ist wahr«, bestätigte Fenn und lächelte abermals. »Aber eine Frau kann allemal jemandes Gemahlin und Mutter eines männlichen Nachkommen werden. Die Nachrichtendienste der Vier Königreiche haben von Riences fieberhafter Suche nach der Fürstentochter erfahren und waren überzeugt, dass es genau darum geht. Also wurde beschlossen, die Fürstentochter daran zu hindern, Ehefrau und Mutter zu
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