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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Feststellung, keine Frage.
    »Nein.« Der Hexer lächelte. »Ich bin mir sicher, dass du sie annimmst.«
    »Du bist ein Wagehals. Hast du vergessen? Ich pflege keine Skrupel zu haben.«
    »Ich habe es nicht vergessen. Immerhin kommt die Zeit der Verachtung, und du gehst mit der Zeit und dem Fortschritt. Ich aber habe mir den Vorwurf anachronistischer Naivität zu Herzen genommen und gehe das Wagnis diesmal nicht ohne Hoffnung auf Gewinn ein. Also was ist? Die Wette gilt?«
    »Sie gilt.« Codringher nahm den Stahlstern bei einer der Zacken und stand auf. »Die Neugier hat bei mir schon immer die Vernunft überwogen, ganz zu schweigen von unbegründeter Barmherzigkeit. Dreh dich um.«
    Der Hexer wandte sich um. Er blickte auf das durchlöcherte Gesicht auf dem Porträt und auf den darin steckenden Orion. Dann schloss er die Augen.
    Der Stern heulte auf und traf vier Zoll neben dem Bilderrahmen dumpf auf die Wand.
    »Gottverdammich!«, schrie Codringher. »Du hast nicht einmal gezuckt, du Hundesohn!«
    Geralt wandte sich um und lächelte. Ungewöhnlich widerwärtig. »Wozu sollte ich zucken? Ich habe gehört, dass du so wirfst, dass du nicht triffst.«
     
    In dem Gasthof war es leer. Auf einer Bank in der Ecke saß eine junge Frau mit blauen Ringen um die Augen. Schamhaft zur Seite abgewandt, stillte sie ein Kind. Ein breitschultriger Kerl, vielleicht ihr Mann, döste daneben, den Rücken an die Wand gelehnt. Im Schatten hinter dem Ofen saß noch jemand, den Aplegatt im Halbdunkel der Stube nicht deutlich erkennen konnte.
    Der Wirt hob den Kopf, bemerkte Aplegatt, sah seine Kleidung und die Blechscheibe mit dem Wappen von Aedirn auf der Brust, und seine Miene verfinsterte sich augenblicklich. Aplegatt war derlei Begrüßungen gewöhnt. Er war königlicher Bote, ihm stand ein uneingeschränktes Angarienrecht zu. Die königlichen Erlasse waren unmissverständlich: Ein Bote hatte das Recht, in jeder Stadt, jedem Dorf, jedem Gasthof und jeder Herberge ein frisches Pferd zu verlangen – und wehe dem, der es ihm verweigerte. Natürlich ließ der Bote sein eigenes Reittier zurück und gab für das neue eine Quittung – der Eigentümer konnte sich an den Amtmann wenden und eine Entschädigung verlangen. Doch das ging mal so, mal so aus. Daher wurde ein Bote stets mit Missmut und Befürchtungen beäugt – wird er ein Pferd fordern oder nicht? Wird er unseren Goldhans mitnehmen, um ihn zuschanden zu reiten? Unsere Bella, die wir vom Fohlen auf großgefüttert haben? Unseren gehätschelten Braunen? Aplegatt hatte schon des öfteren verheulte Kinder gesehen, die sich an den Liebling und Spielgefährten klammerten, wenn er aus dem Stall geführt wurde; mehr als einmal hatte er in die Gesichter von Erwachsenen geblickt, die bleich waren vom Gefühl des Unrechts und der Hilflosigkeit.
    »Ein frisches Pferd brauch ich nicht«, sagte er rasch. Er hatte den Eindruck, dass der Wirt erleichtert aufatmete.
    »Ich werde nur etwas essen, weil ich unterwegs hungrig geworden bin«, fügte der Bote hinzu. »Was ist im Topf?«
    »Es ist noch etwas Suppe da, gleich bringe ich sie, setzt Euch. Bleibt Ihr über Nacht? Es dämmert schon.«
    Aplegatt überlegte. Vor zwei Tagen hatte er Hansom getroffen, einen ihm bekannten Boten, und befehlsgemäß mit ihm die Botschaften ausgetauscht. Hansom hatte die Briefe und die Nachricht für König Demawend übernommen, war durch Temerien und Mahakam nach Vengerberg galoppiert. Aplegatt indes war mit der Post für König Wisimir von Redanien in Richtung Oxenfurt und Dreiberg geritten. Er hatte noch über dreihundert Meilen vor sich.
    »Ich werde essen und weiterreiten«, entschied er. »Es ist Vollmond, und die Straße ist eben.«
    »Wie Ihr wollt.«
    Die Suppe, die man ihm reichte, war dünn und geschmacklos, doch der Bote achtete nicht auf derlei Kleinigkeiten. Geschmack schätzte er daheim, wenn seine Frau kochte; unterwegs aß er, was kam. Jetzt löffelte er langsam, hielt den Löffel ungeschickt in den von den Zügeln steif gewordenen Fingern.
    Der Kater, der auf der Ofennische döste, hob plötzlich den Kopf, fauchte.
    »Ein königlicher Bote?«
    Aplegatt zuckte zusammen. Die Frage hatte der Mann im Schatten gestellt, der jetzt hervorkam und neben dem Boten stehenblieb. Er hatte Haare weiß wie Milch, die auf der Stirn von einem Lederband zurückgehalten wurden, ein mit silbernen Nieten beschlagenes schwarzes Wams und hohe Stiefel. Über der rechten Schulter glänzte der runde Knauf eines Schwertes,

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