Die Zeit der Verachtung
das er auf dem Rücken trug.
»Wohin führt Euch der Weg?«
»Wohin des Königs Wille befiehlt«, antwortete Aplegatt kalt. Auf solche Fragen gab er niemals eine andere Antwort.
Der Weißhaarige schwieg eine Weile und musterte den Boten mit forschendem Blick. Er hatte ein unnatürlich blasses Gesicht und sonderbare dunkle Augen.
»Des Königs Wille«, sagte er schließlich mit unangenehmer, etwas heiserer Stimme, »verlangt doch sicherlich, dass du dich beeilst? Sicherlich willst du möglichst bald aufbrechen?«
»Was geht Euch das an? Wer seid Ihr, dass Ihr mich zur Eile drängt?«
»Ich bin niemand.« Der Weißhaarige lächelte widerwärtig. »Und ich dränge dich nicht zur Eile. Aber an deiner Stelle würde ich so schnell wie möglich hier fortreiten. Ich möchte nicht, dass dir etwas Böses widerfährt.«
Auf solch eine Behauptung hatte Aplegatt ebenfalls eine erprobte Antwort parat. Kurz und bündig. Friedfertig und ruhig – die aber unmissverständlich daran erinnerte, wem ein königlicher Bote diente und was dem drohte, der es wagen würde, einen solchen Boten anzutasten. Doch in der Stimme des Weißhaarigen lag etwas, was Aplegatt davon abhielt, die übliche Antwort zu geben.
»Ich muss das Pferd ausruhen lassen, mein Herr. Eine Stunde, vielleicht zwei.«
»Verstehe.« Der Weißhaarige nickte, worauf er den Kopf hob, auf von draußen hereindringende Geräusche zu lauschen schien. Aplegatt spitzte ebenfalls die Ohren, hörte aber nur die Grillen.
»Also erhol dich«, sagte der Weißhaarige und rückte den Schwertriemen zurecht, der ihm quer über die Brust lief. »Aber geh nicht nach draußen. Egal, was passiert, geh nicht hinaus.«
Aplegatt verkniff sich die Fragen. Er fühlte instinktiv, dass es so besser war. Er beugte sich über die Schüssel und widmete sich wieder dem Auffischen der wenigen Speckgrieben, die in der Suppe schwammen. Als er den Kopf hob, war der Weißhaarige schon nicht mehr in der Stube.
Wenig später wieherte draußen ein Pferd, erklang Hufgetrappel.
In den Gasthof kamen drei Männer. Bei ihrem Anblick fing der Wirt an, die Humpen schneller auszuwischen. Die Frau mit dem Säugling rückte näher an den dösenden Ehemann heran, weckte ihn mit einem Rippenstoß. Aplegatt zog den Hocker, auf dem sein Gürtel und der Dolch lagen, ein kleines Stück zu sich heran.
Die Männer traten an den Schanktisch, musterten und taxierten mit raschen Blicken die Gäste. Sie gingen langsam, klirrten mit Sporen und Waffen.
»Willkommen, die Herren.« Der Schankwirt räusperte sich und hüstelte. »Womit kann ich dienen?«
»Mit Schnaps«, sagte einer, untersetzt und kräftig, mit langen Armen wie ein Affe, bewaffnet mit zwei serrikanischen Säbeln, die ihm über Kreuz auf dem Rücken hingen. »Trinkst du ’nen Schluck, Professor?«
»Positiv gern«, gab der zweite Mann zur Antwort und rückte auf seiner Hakennase die Brille aus geschliffenen, bläulich gefärbten Kristallen mit goldenem Rahmen zurecht. »Wenn nur der Trunk mit keinerlei Ingredienzen falsifiziert ist.«
Der Wirt goss ein. Aplegatt bemerkte, dass seine Hände leicht zitterten. Die Männer lehnten sich mit den Rücken an die Theke, tranken ohne Eile aus den tönernen Schälchen.
»Werter Herr Wirt«, ließ sich plötzlich der mit der Brille vernehmen. »Ich suponniere, dass hier vor kurzem zwei Damen durchgekommen sind, die intensiv Richtung Gors Velen strebten?«
»Hier kommen alle möglichen Leute durch«, murmelte der Wirt.
»Die inkriminierten Damen«, sprach der mit der Brille langsam, »hättet Ihr unmöglich übersehen können. Eine von ihnen ist schwarzhaarig und von extraordinärer Schönheit. Sie reitet einen Rappen. Die andere, jüngere, hellhaarig und grünäugig, voyagiert auf einer Apfelschimmel-Stute. Waren sie hier?«
»Nein«, kam Aplegatt dem Schankwirt zuvor und spürte plötzlich Kälte im Rücken. »Waren sie nicht.«
Die graugefiederte Gefahr. Der heiße Sand ...
»Ein Bote?«
Aplegatt nickte.
»Woher und wohin?«
»Woher und wohin des Königs Wille befiehlt.«
»Den Weibern, nach denen ich interrogiert habe, bist du akzidentiell unterwegs nicht begegnet?«
»Nein.«
»Du verneinst es ein bisschen schnell«, knurrte der dritte Mann, hochgewachsen und dünn wie eine Bohnenstange. Er hatte schwarze, glänzende Haare, als seien sie eingefettet. »Ich habe aber nicht den Eindruck, dass du dein Gedächtnis besonders angestrengt hast.«
»Lass sein, Heimo.« Der mit der Brille winkte ab.
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