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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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tänzeln, zu wiehern. Der Bote gab ihm die Sporen und ging in Galopp über. Die Zeit drängte.
     
    »Gar’ean«, zischte Cairbre und beugte sich hinter dem Ast hervor, von dem aus er die Straße beobachtete. »En Dh’oine aen evall a stráede!«
    Toruviel sprang vom Erdboden auf, griff nach dem Schwert und gürtete es sich um, stieß mit der Stiefelspitze Yaevinn gegen die Hüfte, der neben ihr döste, an die Wand der Stubbengrube gelehnt. Der Elf sprang auf, zischte, verbrannt von dem heißen Sand, auf den er die Hand gestützt hatte.
    »Que suecc’s?«
    »Ein Reiter auf der Straße.«
    »Einer?« Yaevinn nahm Bogen und Köcher auf. »Cairbre? Nur einer?«
    »Einer. Er kommt näher.«
    »Dann erledigen wir ihn. Ein Dh’oine weniger.«
    »Gib Ruhe.« Toruviel fasste ihn am Ärmel. »Was haben wir davon? Wir sollten auf Kundschaft gehen und uns dann wieder dem Kommando anschließen. Sollen wir Zivilisten auf der Straße ermorden? Sieht so der Freiheitskampf aus?«
    »Genau so. Rück beiseite.«
    »Wenn auf der Straße ein Toter liegenbleibt, schlägt jede vorüberreitende Patrouille Alarm. Die Armee fängt an, Jagd auf uns zu machen. Sie werden die Furten bewachen; wir könnten Schwierigkeiten haben, den Fluss zu überqueren!«
    »Auf diesem Weg reitet kaum jemand. Ehe sie den Leichnam finden, sind wir weit weg.«
    »Dieser Reiter ist auch schon weit weg«, sagte Cairbre vom Baum herab. »Statt zu reden, hättest du schießen müssen. Jetzt erreichst du ihn nicht mehr. Es sind gut zweihundert Schritt.«
    »Mit meinem Sechzigpfünder?« Yaevinn strich über den Bogen. »Mit einer dreißigzölligen Flöte? Außerdem sind es keine zweihundert Schritt. Es sind hundertfünfzig, höchstens. Mire, que spar aen’le.«
    »Yaevinn, lass sein  ...«
    »Thaess aep, Toruviel.«
    Der Elf drehte die Mütze so, dass ihn der daran befestigte Eichhörnchenschwanz nicht störte, spannte rasch den Bogen, kräftig, bis zum Ohr, zielte genau und ließ die Sehne los.
    Aplegatt hörte den Pfeil nicht. Es war ein »stiller« Pfeil, eigens mit langen, schmalen grauen Federn versehen, der Schaft mit Furchen, um die Steifheit zu erhöhen und das Gewicht zu vermindern. Die dreischneidige, rasiermesserscharfe Spitze traf den Boten voller Wucht mitten in den Rücken, zwischen dem linken Schulterblatt und dem Rückgrat. Die Schneiden waren schräg angeordnet – beim Eindringen in den Körper drehte sich die Pfeilspitze wie eine Schraube, zerfetzte das Gewebe, zerschnitt Blutgefäße und zermalmte Knochen. Aplegatt fiel vornüber auf den Hals des Pferdes und rutschte zu Boden, kraftlos wie ein Wollsack.
    Der Sand der Straße war heiß, von der Sonne derart erhitzt, dass er schon dampfte. Doch der Bote spürte das nicht mehr. Er war sofort tot.
     

Zu sagen, ich hätte sie gekannt, wäre eine Übertreibung. Ich glaube, außer dem Hexer und der Zauberin kannte sie niemand wirklich. Als ich sie zum ersten Mal sah, machte sie überhaupt keinen großen Eindruck auf mich, selbst unter den ziemlich unheimlichen Begleitumständen. Ich habe Leute gekannt, die behaupteten, sofort, bei der ersten Begegnung den Hauch des Todes gespürt zu haben, der dieses Mädchen umgab. Mir jedoch kam sie ganz gewöhnlich vor, aber ich wusste ja, dass sie nicht gewöhnlich war – daher habe ich mich besonders bemüht, sie eingehend zu betrachten, in ihr das Ungewöhnliche zu entdecken, zu erfühlen. Doch ich beobachtete nichts und fühlte nichts. Nichts, was die späteren tragischen Ereignisse hätte signalisieren, ankündigen, ahnen lassen können. Die Ereignisse, deren Ursache sie war. Und die Ereignisse, die sie selbst herbeiführte.
    Rittersporn,
Ein halbes Jahrhundert Poesie

Das zweite Kapitel
    Gleich an der Weggabelung, wo der Wald endete, waren zehn Stangen in die Erde gerammt. Am oberen Ende jeder Stange war ein Wagenrad befestigt. Über den Rädern drängten sich Raben und Krähen, pickten und rissen an den Leichen, die an Felgen und Speichen festgebunden waren. Ob der Höhe der Stangen und der Menge der Vögel ließ sich allerdings nur erahnen, was das für Reste waren, die auf den Rädern ruhten. Doch es waren Leichen. Es konnte nichts anderes sein.
    Ciri wandte den Kopf ab und rümpfte angewidert die Nase. Der Wind kam von den Stangen, der Übelkeit erregende Gestank der sich zersetzenden Leichen hing über der Weggabelung.
    »Eine bemerkenswerte Dekoration.« Yennefer beugte sich im Sattel seitwärts und spuckte auf den Boden, wobei sie vergaß, dass

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