Die Zeit der Verachtung
Hand fühlte. Eine absolut nicht zufällige Hand, dreist und geschickt.
Das Gedränge, hätte man meinen sollen, machte es unmöglich, sich umzudrehen, doch Ciri hatte in Kaer Morhen gelernt, wie man sich an Stellen bewegt, wo man sich kaum bewegen kann. Sie drehte sich um, was einige Verwirrung auslöste. Der direkt hinter ihr stehende junge Priester mit dem kahlgeschorenen Kopf lächelte arrogant und geübt. Na und, sagte dieses Lächeln, was machst du jetzt? Du wirst hübsch erröten, und damit gut, nicht wahr?
Der Priester hatte offensichtlich noch nie mit einer Schülerin Yennefers zu tun gehabt.
»Pfoten weg, du kahlköpfiger Blödmann!«, explodierte Ciri, vor Wut blass geworden. »Fass dir an den eigenen Hintern, du ... du geweißtes Grab!!!«
Sie hatte vor, sich die Tatsache zunutze zu machen, dass sich der in der Menge eingezwängte Priester nicht rühren konnte, und ihm einen Fußtritt zu versetzen, doch das verhinderte Fabio, der sie rasch von dem Priester und dem Ort des Geschehens wegzog. Als er sah, dass sie vor Zorn geradezu zitterte, beruhigte er sie, indem er ein paar mit Puderzucker bestreute Kartoffelpuffer spendierte, bei deren Anblick Ciri den Zwischenfall augenblicklich vergaß. Sie blieben an dem Stand stehen, an einer Stelle, von wo aus sie das Schafott mit dem Pranger sehen konnten. Am Pranger stand jedoch kein Übeltäter, und das Schafott selbst war mit Blumengirlanden geschmückt und diente einer Gruppe von wie Papageien herausgeputzten Musikanten, die auf Lauten drauflosklampften und auf Dudelsäcken und Pfeifen spielten. Ein junges schwarzhaariges Mädchen in einem flitterbesetzten ärmellosen Jäckchen sang und tanzte, wobei sie ein kleines Tambourin schüttelte und fröhlich mit den Stiefelchen stampfte.
Ging ’ne Zaubrin durch den Wald, bissen sie die Schlangen;
klar, sie lebt – die Schlangen sind alle draufgegangen!
Die ums Schafott versammelte Menge lachte sich scheckig und klatschte den Rhythmus. Der Kartoffelpuffer-Verkäufer warf die nächste Portion ins siedende Öl. Fabio leckte sich die Finger ab und zog Ciri am Ärmel.
Die Stände nahmen kein Ende, und überall wurde etwas Schmackhaftes angeboten. Sie aßen jeder noch ein Cremetörtchen, dann zu zweit einen kleinen geräucherten Aal und als Nachspeise etwas sehr Seltsames, Geröstetes, das auf ein Stäbchen gespießt war. Später blieben sie bei Fässern mit Sauerkraut stehen und taten so, als ob sie probierten, um eine größere Menge zu kaufen. Als sie dann gingen, ohne etwas gekauft zu haben, nannte die Verkäuferin sie Hosenscheißer.
Sie gingen weiter. Für den Rest des Geldes erwarb Fabio ein Körbchen mit Bergamotte-Birnen. Ciri schaute zum Himmel, entschied jedoch, es sei noch nicht Mittag.
»Fabio? Was sind das für Zelte und Buden, dort an der Mauer?«
»Verschiedene Belustigungen. Willst du es sehen?«
»Ja.«
Vor dem ersten Zelt standen ausschließlich Männer, die vor Erregung von einem Fuß auf den anderen traten. Aus dem Inneren drangen Flötenklänge.
»Die schwarzhäutige Leila ...«, las Ciri mit Mühe die krakelige Aufschrift auf einer Plane, »verrät beim Tanz alle Geheimnisse ihres Körpers ...« Irgendein Unsinn! Was denn für Geheimnisse ...
»Gehen wir weiter, gehen wir weiter«, drängte Fabio, ein wenig rot geworden. »Oh, schau, das ist interessant. Hier empfängt eine Wahrsagerin, die die Zukunft vorhersagt. Ich habe noch genau zwei Groschen, das genügt ...«
»Schade um das Geld«, fauchte Ciri. »Das ist mir vielleicht eine Weissagung, für zwei Groschen! Um weiszusagen, muss man eine Seherin sein. Das ist ein großes Talent. Sogar unter den Zauberinnen hat höchstens eine von hundert solche Fähigkeiten ...«
»Meiner ältesten Schwester«, warf der junge Mann ein, »hat eine Wahrsagerin prophezeit, dass sie heiraten würde, und es ist eingetroffen. Zieh keinen Flunsch, Ciri. Komm, wir wollen uns wahrsagen lassen ...«
»Ich will nicht heiraten. Ich will keine Weissagungen. Es ist heiß, und in diesem Zelt stinkt es nach Weihrauch, ich gehe da nicht hinein. Wenn du willst, geh allein, ich warte hier. Ich weiß nur nicht, was soll dir eine Weissagung? Was möchtest du wissen?«
»Na ...«, begann Fabio zu stottern. »Am meisten, das ... Ob ich reisen werde. Ich möchte gern auf Reisen gehen. Die ganze Welt sehen ...«
Wird er, dachte Ciri plötzlich und spürte, wie es sich ihr im Kopf drehte. Er wird auf großen weißen
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