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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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antworten, hatte der Bursche sie schon zwischen die Wagen, Fässer und Stände gezogen, wobei er erklärte, dass die Befestigungsanlage, die sich über dem Platz erhob, Diebesbastei genannt wurde, dass die zu ihrem Bau verwendeten Steine vom Meeresgrund stammten und dass die darunter wachsenden Bäume Platanen hießen.
    »Du bist schrecklich wortkarg, Ciri«, stellte er plötzlich fest.
    »Ich?« Sie täuschte Verwunderung vor. »Nichts dergleichen! Ich höre einfach aufmerksam zu, was du sagst. Du erzählst sehr interessant, weißt du? Gerade wollte ich dich fragen  ...«
    »Ich höre, frag.«
    »Ist es weit von hier zu  ... zu der Stadt Aretusa?«
    »Überhaupt nicht! Denn Aretusa ist gar keine Stadt. Gehen wir auf die Mauer, ich zeig’s dir. Dort ist die Treppe.«
    Die Mauer war hoch und die Treppe steil. Fabio kam ins Schwitzen und außer Atem, kein Wunder, denn er redete die ganze Zeit. Ciri erfuhr, dass die Mauer, die Gors Velen umgab, erst vor kurzem errichtet worden war, viel später als die Stadt selbst, die noch die Elfen erbaut hatten, dass sie fünfunddreißig Fuß hoch und eine sogenannte Kasemattenmauer war, aus behauenem Stein und ungebrannten Ziegeln, denn dieses Material hielt Rammbockstößen besser stand.
    Oben empfing und umwehte sie eine erfrischende Brise vom Meer her. Nach der dicken, unbeweglichen Luft in der Stadt atmete Ciri den Wind mit Freuden ein. Sie stützte die Ellenbogen auf die Mauerbrüstung, schaute auf den Hafen hinab, der bunt war von Segeln.
    »Was ist das, Fabio? Dieser Berg?«
    »Die Insel Thanedd.«
    Die Insel schien sehr nahe zu sein. Und sie ähnelte in keiner Weise einer Insel. Sie sah wie eine in den Meeresboden gerammte riesige Steinsäule aus, eine große Zikkurat, umringt von einer sich spiralförmig windenden Straße, von im Zickzack laufenden Treppen und von Terrassen. Auf den Terrassen grünten Haine und Gärten, aus dem Grün aber, wie Schwalbennester an die Felsen geklebt, ragten schlanke weiße Türme und geschmückte Kuppeln, die sich über von Galerien umgebenen Gebäuden erhoben. Diese Gebäude wirkten überhaupt nicht gebaut. Sie schienen aus den Hängen jenes dem Meer entwachsenen Berges gemeißelt zu sein.
    »Das alles haben die Elfen gebaut«, erklärte Fabio. »Es heißt, mit Hilfe von Elfenmagie. Doch seit unvordenklichen Zeiten gehört Thanedd den Zauberern. Nicht weit von der Spitze, dort, wo diese glänzenden Kuppeln sind, befindet sich der Palast Garstang. Dort beginnt in ein paar Tagen die große Zusammenkunft der Magier. Und dort, schau, ganz oben, dieser hohe einsame Turm mit den Zinnen, das ist der Tor Lara, der Möwenturm.«
    »Kommt man zu Lande dorthin? Es ist ja ganz nahe.«
    »Ja. Es gibt eine Brücke, die das Ufer der Bucht mit der Insel verbindet. Wir sehen sie nicht, weil die Bäume sie verdecken. Siehst du die roten Dächer am Fuße des Berges? Das ist der Palast Loxia. Dorthin führt die Brücke. Nur durch Loxia gelangt man auf die Straße, die zu den oberen Terrassen führt  ...«
    »Und dort, wo diese hübschen Galerien und kleinen Brücken sind? Und Gärten? Wie sich das an der Felswand hält, dass es nicht herunterfällt  ... Was ist das für ein Palast?«
    »Das ist eben Aretusa, wonach du gefragt hast. Dort befindet sich die berühmte Schule für junge Zauberinnen.«
    »Ach  ...« Ciri leckte sich die Lippen. »Dort ist das also  ... Fabio?«
    »Ja?«
    »Siehst du manchmal die jungen Zauberinnen, die in dieser Schule lernen? In diesem Aretusa?«
    Der Bursche schaute sie an, sichtlich verwundert. »Niemals! Niemand bekommt sie zu sehen! Sie dürfen die Insel nicht verlassen, nicht in die Stadt kommen. Und auf das Gebiet der Schule hat niemand Zutritt. Sogar der Burggraf und der Gerichtsdiener können, wenn sie etwas mit den Zauberinnen zu klären haben, nur bis nach Loxia gehen. Auf die unterste Ebene.«
    »Das dachte ich mir.« Ciri nickte, den Blick auf die glänzenden Dächer von Aretusa gerichtet. »Das ist keine Schule, sondern ein Gefängnis. Auf einer Insel, an einem Felsen, überm Abgrund. Ein Gefängnis, und basta.«
    »Ein wenig schon«, gab Fabio nach kurzem Überlegen zu. »Dort kommt man wirklich schwer heraus  ... Aber nein, es ist nicht wie in einem Gefängnis. Die Adeptinnen sind doch junge Mädchen. Man muss sie behüten  ...«
    »Wovor?«
    »Na  ...«, stotterte der Bursche. »Du weißt doch  ...«
    »Ich weiß nicht.«
    »Hmm  ... Ich denke  ... Ach, Ciri, es schließt sie ja niemand

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