Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
Vom Netzwerk:
etwas passieren wird. Ich werde abwarten. Und mich der Situation anpassen.
    Er schaute zum Schreibtisch hin.
    »Yen?«
    »Ja.«
    »Als du in Aretusa gelernt hast  ... Als du in einem Zimmerchen wie diesem geschlafen hast  ... Hattest du da eine Puppe, ohne die du nicht hättest einschlafen können? Die du tagsüber auf den Schreibtisch gesetzt hast?«
    »Nein.« Yennefer machte eine heftige Bewegung. »Ich hatte überhaupt keine Puppe. Frag mich nicht danach, Geralt. Ich bitte dich, frag nicht.«
    »Aretusa«, flüsterte er, während er sich umschaute. »Aretusa auf der Insel Thanedd. Ihr Zuhause. Für so viele Jahre  ... Wenn sie von hier weggeht, wird sie eine reife Frau sein.«
    »Hör auf. Denk nicht dran und rede nicht davon. Stattdessen  ...«
    »Was, Yen?«
    »Liebe mich.«
    Er umarmte sie. Berührte sie. Fand sie. Yennefer, auf unglaubliche Art zugleich weich und hart, seufzte tief. Die Worte, die sie aussprachen, rissen ab, versanken in Stöhnen und beschleunigtem Atem, hatten keine Bedeutung mehr, wurden leer. Also verstummten sie, konzentrierten sich darauf, einander zu suchen, die Wahrheit zu suchen. Sie suchten lange, zärtlich und sehr gründlich, fürchteten unangebrachte Eile, Leichtfertigkeit und Nonchalance. Sie suchten heftig, intensiv und selbstvergessen, fürchteten ketzerischen Zweifel und Unentschlossenheit. Sie suchten vorsichtig, fürchteten ketzerischen Mangel an Feingefühl.
    Sie fanden einander, bezwangen die Furcht, und im Augenblick darauf fanden sie die Wahrheit, die ihnen als frappierende, blendende Selbstverständlichkeit unter den Lidern explodierte, die entschlossen zusammengepressten Lippen mit einem Seufzer aufriss. Und da erzitterte die Zeit krampfhaft und blieb stehen, alles verschwand, und als einzig fortwirkender Sinn blieb die Berührung.
    Eine Ewigkeit verstrich, die Wirklichkeit kehrte zurück, und abermals erzitterte die Zeit und nahm ihren Lauf wieder auf, langsam, schwerfällig wie ein großer beladener Wagen. Geralt schaute aus dem Fenster. Der Mond hing noch immer am Himmel, obwohl das, was vor einem Moment geschehen war, ihn auf die Erde hätte stürzen lassen müssen.
    »Jechen, je«, sagte Yennefer nach einer Weile und strich sich mit einer langsamen Bewegung eine Träne von der Wange.
    Sie lagen reglos in dem zerwühlten Bett, inmitten des Schauders, inmitten der dampfenden Wärme und des verlöschenden Glücks, inmitten des Schweigens, und ringsum ballte sich eine undeutliche Dunkelheit, erfüllt vom Geruch der Nacht und von den Stimmen der Zikaden. Geralt wusste, dass die telepathischen Fähigkeiten der Zauberin in solchen Augenblicken besonders empfindlich und stark waren, also dachte er intensiv an schöne Dinge und Angelegenheiten. An Dinge, die ihr Freude machen sollten. An die ausbrechende Helligkeit eines Sonnenaufgangs. An den Nebel, der im Morgengrauen über einem Bergsee hängt. An kristallklare Wasserfälle, durch die Lachse springen, so glänzend, als seien sie aus gegossenem Silber. An warme Regentropfen, die auf die tauschweren Blätter von Kletten auftreffen.
    Er dachte für sie. Yennefer lächelte, während sie seinen Gedanken lauschte. Das Lächeln zitterte auf ihrer Wange als Mondschatten der Wimpern.
     
    »Ein Haus?«, fragte Yennefer plötzlich. »Was für ein Haus? Du hast ein Haus? Du willst ein Haus bauen? Ach  ... entschuldige. Ich sollte nicht  ...«
    Er schwieg. Er war wütend auf sich. Während er für sie gedacht hatte, hatte er ihr unwillkürlich erlaubt, einen Gedanken an sie zu lesen.
    »Ein schöner Traum.« Yennefer strich ihm sanft über den Rücken. »Ein Haus. Ein eigenhändig gebautes Haus, darin du und ich. Du würdest Pferde und Schafe halten, ich den Garten versorgen, Essen kochen und Wolle kämmen, die wir zum Markt bringen würden. Für das bisschen Geld, das wir für die verkaufte Wolle und verschiedene Früchte des Bodens erhielten, würden wir uns kaufen, was wir brauchen, sagen wir, kupferne Kochtöpfe und eiserne Rechen. Des öfteren würde uns Ciri mit ihrem Mann und drei Kindern besuchen, von Zeit zu Zeit würde Triss Merigold vorbeischauen, um ein paar Tage zu bleiben. Wir würden schön und in Würde alt werden. Und wenn ich mich langweilte, würdest du mir abends etwas auf einem selbstgebauten Dudelsack vorspielen. Das Spiel auf dem Dudelsack ist bekanntlich das beste Mittel gegen Trübsal.«
    Der Hexer schwieg. Die Zauberin räusperte sich leise.
    »Entschuldige«, sagte sie nach einer Weile.
    Er

Weitere Kostenlose Bücher