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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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ein Streifen Mondlicht herein, der die Finsternis ein wenig aufhellte und das Zimmer in Loxia wie den Ort in ihrem Traum aussehen ließ. Ciri warf das Deckbett zurück. Sie war verschwitzt, die Haare klebten ihr an der Stirn. Am Abend hatte sie lange nicht einschlafen können, es fehlte ihr an Luft, obwohl das Fenster weit offenstand. Sie kannte den Grund. Ehe sie mit Geralt hinausgegangen war, hatte Yennefer das Zimmer mit Schutzzaubern belegt. Angeblich, damit niemand hineingelangen konnte, doch Ciri argwöhnte, dass es eher darum ging, niemanden hinauszulassen. Sie war einfach eingesperrt. So sichtlich Yennefer froh war, Geralt begegnet zu sein, hatte sie doch die eigenmächtige und irrsinnige Flucht nach Hirundum, die zu dieser Begegnung geführt hatte, weder vergessen noch verziehen.
    Sie selbst hatte die Begegnung mit Geralt traurig gemacht und enttäuscht. Der Hexer war wortkarg, angespannt, unruhig und offensichtlich unaufrichtig. Ihre Gespräche rissen ab und versickerten, blieben in unvollendeten, mitten im Wort abgebrochenen Sätzen und Fragen stecken. Die Blicke und die Gedanken des Hexers flohen vor ihr und schweiften in die Ferne. Ciri wusste, wohin sie schweiften.
    Aus dem Zimmer am Ende des Korridors drang der einsame und leise Gesang Rittersporns heran, die Musik von Lautensaiten, die plätscherte wie ein Wasserlauf über Steine. Sie erkannte die Melodie, an der der Barde seit ein paar Tagen komponierte. Die Ballade trug – wie Rittersporn sich mehrfach gebrüstet hatte – den Titel »Die Unfassliche« und sollte dem Dichter auf dem diesjährigen Bardenturnier zum Sieg verhelfen, das im Spätherbst auf dem Schloss Vartburg stattfand. Ciri lauschte den Worten.
    Magst im Flug durch die Regennacht schweifen,
    Zwischen gelblichen Seerosen tauchen,
    Doch ich werde dich trotzdem begreifen,
    Etwas Glück freilich werde ich brauchen
 ...
    Hufe trommelten, Reiter galoppierten in die Nacht, zum Horizont hin erblühte der Himmel im Widerschein von Bränden. Ein Raubvogel schrie und breitete die Flügel aus, flog auf. Ciri war wieder im Traum versunken und hörte dabei, wie jemand mehrfach ihren Namen aussprach. Einmal war es Geralt, einmal Yennefer, einmal Triss Merigold, schließlich – und das mehrere Male – eine ihr unbekannte schmächtige, hellhaarige und traurige junge Frau, die von einer in Horn und Messing gefassten Miniatur herabsah.
    Dann wurde sie den schwarz-weißen Kater gewahr, und einen Moment später war sie dieser Kater, blickte mit seinen Augen. Sie sah große Regale voller Bücher, ein von mehreren Kerzenständern erhelltes Pult, daran zwei über Pergamentbündel gebeugte Männer. Einer von den Männern hustete und wischte sich den Mund mit einem Tuch ab. Der andere, kleinwüchsig und mit riesigem Kopf, saß in einem Sessel mit Rädern. Ihm fehlten beide Beine.
     
    »Unerhört  ...«, seufzte Fenn, während er den Blick über das brüchige Pergament schweifen ließ. »Unglaublich  ... Woher hast du diese Dokumente?«
    »Du würdest es nicht glauben, wenn ich es dir sagen würde.« Codringher begann zu husten. »Hast du nunmehr verstanden, wer Cirilla, die Fürstentochter von Cintra, in Wahrheit ist? Die Kinder des Älteren Blutes  ... Der letzte Spross an jenem verdammten Baum des Hasses! Der letzte Zweig, und daran der letzte vergiftete Apfel  ...«
    »Das Ältere Blut  ... So weit zurück  ... Pavetta, Calanthe, Adalia, Elen, Fiona  ...«
    »Und Falka.«
    »Bei den Göttern, das ist unmöglich! Erstens hatte Falka keine Kinder! Zweitens war Fiona die rechtmäßige Tochter von  ...«
    »Erstens wissen wir nichts über die Jugend Falkas. Zweitens verstehst du mich nicht, Fenn. Du weißt doch, dass ich, wenn ich das Wort ›rechtmäßig‹ höre, Lachkrämpfe kriege. Ich glaube diesem Dokument, denn ich halte es für echt und wahrheitsgemäß. Fiona, die Urururgroßmutter Pavettas, war die Tochter von Falka, jenem Ungeheuer in Menschengestalt. Zum Teufel, ich glaube nicht an all diese irrsinnigen Weissagungen, Prophezeiungen und derlei Unsinn, doch wenn ich mir jetzt die Weissagung Itlinas ins Gedächtnis rufe  ...«
    »Das geschändete Blut?«
    »Geschändet, vergiftet, verflucht, das kann man unterschiedlich verstehen. Aber der Legende nach, wenn du dich entsinnst, war es Falka, die verflucht wurde, denn Lara Dorren aep Shiadhal belegte Falkas Mutter mit einem Fluch  ...«
    »Das sind Märchen, Codringher.«
    »Du hast recht, es sind Märchen. Aber weißt du, wann

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