Die Zeit des Boesen
sondern auch, warum es solche Tränen vergoß.
Es stand vor einem Tisch.
Und auf dem Tisch stand ein gläserner Behälter, in dem . ein Kopf schwamm!
Nicht einmal der Moment des gewaltsamen Todes, als das herabsausende Fallbeil ihn vom Körper getrennt hatte, hatte genügend Schrecken in die Züge der Frau meißeln können, um die unirdische Schönheit zunichte zu machen! Selbst jetzt, von wasserklarer Flüssigkeit umgeben, strahlte sie noch einen Zauber aus, der ihr womöglich zum Verhängnis geworden war, und nicht einmal die Röte ihres Haares hatte unter der Tinktur so gelitten, daß man nicht hätte ahnen können, wie es ihr Gesicht einmal umschmeichelt hatte.
Kupferrot war auch das Haar des Mädchens, das vor dem Tischchen kniete, die Hände zu Fäusten geballt, aber nicht zum Gebet gefaltet, und den Blick gefangen von dem offenen Mund der Geköpf-ten, als wartete sie inständig auf ein tröstendes Wort daraus .
Justus konnte es nicht länger ertragen. Er wollte zu dem Mädchen eilen und es von dem zur Schau gestellten Haupt der Hexe wegziehen. Doch in diesem Moment packte jemand ihn von hinten am Schlafittchen!
»Wer nicht hören will, muß fühlen!« zischte eine Stimme, die gar nicht erst die Frage aufkommen ließ, wer ihn so grob zurückriß.
»Loslassen! Sofort!« schrie Justus. »Du wirst es bereuen, wenn du mich -«
»Bereuen wirst du es, wenn du nicht gleich das ungewaschene Maul hältst! Und jetzt verschwinde, ehe ich mich wirklich vergesse!«
Justus wurde nicht nur brutal zu Boden gestoßen, sondern erhielt auch noch einen Tritt in die Seite, der ihm die Tränen in die Augen trieb.
Keiner der Mönche griff ein. Ihr Gesang übertönte nicht nur das Prasseln der Flammen und das Schluchzen des Mädchen, sondern auch Justus' Stöhnen, als er sich vom Pflaster aufrappelte und geduckt dorthin zurückschlich, woher er gekommen war.
Übertriebene Tapferkeit war seine Sache nicht ...
*
Vom Hradschin aus betrachtet wirkte Prag, als hätte jemand die ganze Stadt achtlos mit flüssigem Blei übergossen, so daß jetzt über allem, was sich darin befand oder bewegte, eine grauschwarze Patina aus Verdorbenheit lag.
Graue Schwärze wie die Not und der Tod schlechthin!
Matthäus Wenzel fröstelte beim Blick aus dem offenen Palastfenster, ohne allerdings auch nur zu ahnen, daß sich dieser Schauder vom üblichen Ungemach seines Geschäfts unterschied.
Wenige Stunden zuvor hatte er die böhmische Hauptstadt erreicht und war von Vilem Slavata, einem der gräflichen Statthalter des Kö-nigs, empfangen worden. Graf Jaroslav Martinic selbst, der ihn wegen eines »absonderlichen Problems« eigens von Dresden hierher beordert hatte, war bei dieser Begrüßung nicht anwesend gewesen, Slavata hatte ihn unter Berufung auf dringliche Angelegenheiten entschuldigt, jedoch versprochen, daß Martinic noch bis zum Abend persönlich bei Wenzel vorstellig würde.
Inzwischen dämmerte es draußen, aber der Graf war immer noch nicht erschienen, und Wenzel wurde allmählich nicht nur ungeduldig, sondern auch ungehalten.
Reisen in dieser Zeit war nicht einfach, sondern generell gefährlich, insbesondere aber, wenn man sich auf Boden wie diesen begab. Unterwegs hatten die Nachrichten, die sich mit der hohen Politik befaßten, Wenzels geheime Befürchtungen mehr und mehr bestätigt: Ein explosives Gemisch braute sich in der Stadt an der Moldau zusammen!
Matthäus Wenzel war von Natur aus ein vorsichtiger Mann, aber Vorsicht allein genügte längst nicht immer, um sich vor den Unbilden und Auswüchsen einer immer mehr ins Sinnlose eskalierenden Gewalt zu schützen.
Prag, das hatte sich schon auf dem Weg, mehr aber noch bei der Ankunft bestätigt, glich einem gigantischen Pulverfaß. Möglicherweise genügte ein winziger Funke, um nicht nur den in dieser Stadt schwelenden Konfliktstoff, sondern auch zwischen Böhmen und dem Hause Habsburg generell zur fatalen Entladung zu bringen.
Seit geraumer Zeit rebellierten die Stände der Stadt immer heftiger und unverblümter gegen die Beschneidung ihrer Rechte; dabei pochten sie auf einen neun Jahre zuvor erlassenen Kaiserlichen Majestätsbrief, der ihnen Glaubensfreiheit und bei Bedarf einen aus Protestanten zusammengesetzten Ausschuß für Verhandlungen mit ihrem Monarchen zubilligte.
König Ferdinand indes hatte dieses Recht schon wiederholt mit Füßen getreten, und von Seiten Slavatas und Martinics, so hörte man allenthalben, gab es keine Bereitschaft, zwischen Herrscher und
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