Die Zeit des Boesen
unterschiedlichen Stadien der Verwesung oder . Wenzel fröstelte ... der Mumifizierung.
Er mußte sehr genau hinsehen, um ihre Zahl zu bestimmen. Er kam auf sieben, und dazwischen befand sich eine zwar noch lebende, aber wohl dem Irrsinn verfallene Frau, die angekettet auf einer Pritsche kauerte. In unregelmäßigen Abständen stieß sie jene schaurigen, durch die Gänge hallenden und selbst andere Inhaftierte zum Erzittern bringenden Schreie aus.
»Das ist die Frau, deretwegen wir aus Dresden gerufen wurden?« fragte Wenzel, und für einen Augenblick meinte er, daß die Schwärze erfolgreich gegen das Licht ihrer Fackeln ankämpfte - es nicht einlassen und nicht weichen wollte .
Strohov fand die Frage des Inquisitors offenbar keiner Antwort wert. Statt dessen erkundigte er sich in rüdem Ton: »Wollt Ihr mit ihr reden? - Aber ich sage Euch gleich, das könnt Ihr Euch sparen. Sie redet mit niemandem .«
Matthäus Wenzels Lächeln ließ sein Gegenüber spüren, was er von ihm hielt. »Es kommt wohl auf die Sprache an, derer man sich bedient .«
Strohov machte eine Handbewegung, die ebensoviel Verachtung ausdrückte, und wollte sich seinen Kameraden zuwenden. Doch Wenzels Stimme hielt ihn noch zurück: »Ich warte immer noch auf deine Erklärung, Soldat!«
»Erklärung wofür?«
»Für die Toten!«
Strohov lächelte abstrakt, und nicht minder mysteriös waren seine Worte: »Es steht mir nicht zu, Euch Ratschläge zu erteilen, trotzdem solltet Ihr Euch vorsehen! Es gibt wenige, die sich überhaupt noch hier herunter wagen, und der Grund dafür ist sie .« Er wies auf die blonde Frau. »Sie bringt jedem den Tod, der sich längere Zeit in ihrer Nähe aufhält . Zumindest behaupten das all die Elenden, die hier liegen .«
»Ich wäre dir dankbar, wenn du mir das ein wenig genauer erklä-ren könntest.«
Das Lächeln, das keines war, verschwand aus Strohovs Zügen, und das Verschlagene darin erblühte wieder zu seiner vollen und vordergründigen Größe. »Ich dachte, es wäre nicht mißzuverstehen, entschuldigt. Es ist ganz einfach: Dieses Hexenweib bringt jeden um! Jeden, der eine Nacht neben ihr verbrachte, war am nächsten Morgen mausetot!«
»Aber wenn sie immer angekettet war .«
»Seit wann stört das ein solches Weibsstück?« Strohov riß die Augen auf, zweifellos irritiert darüber, daß sich ein angeblich erfahrener Inquisitor von ihm erklären ließ, wozu Hexen fähig waren.
»Woran sind sie gestorben?«
Die Miene des Soldaten verschloß sich endgültig. »Das müßt Ihr wohl andere fragen. Ich bin kein Medikus, und der Graf hat mehrere Heilkundige kommen lassen. Was dabei herauskam . Nun, ich weiß es nicht, denn ich verstehe mich nicht auf das Kauderwelsch der Quacksalber!«
Auch seine beiden Kameraden bekundeten Unwissen. Zugleich bemerkte Matthäus Wenzel bei ihnen etwas, was Strohov trefflich verbarg: Furcht. Keiner von ihnen hatte auch nur einen flüchtigen Blick für das lebendige Bündel Frau auf der Pritsche übrig, obwohl sie ihr körperlich haushoch überlegen waren.
Sie fürchten ihren Fluch, dachte Wenzel, dem solche Reaktionen nicht fremd waren. Aber er selbst kannte diese Scheu nicht. Zu oft war er mit tatsächlichen oder vermeintlichen Ausgeburten der Hölle konfrontiert worden.
Trotzdem zögerte er, sich die Frau jetzt schon vorzunehmen.
Um Justus' willen.
»Genug!« sagte er. »Wir kommen ein anderes Mal wieder! Ich will noch diese Stunde mit dem Grafen konferieren!«
Für die Soldaten mochte dies ein Zeichen von Schwäche sein -vielleicht hielten sie ihn für zu feige, sich der satanischen Sünderin zu nähern.
Matthäus Wenzel war es egal. Er trat zurück, legte den Arm um Justus' Hüfte und führte ihn wie einen von Krankheit Geschwächten, der seiner Stütze bedurfte, nach oben. Nach soviel geballter Finsternis wollte auch er zurück ans Licht .
*
Zur gleichen Zeit, unten in der Stadt
Hieronymus Neruda beobachtete das Treiben in der rauchgeschwängerten Stube mit unverhohlener Skepsis - und das wiederum quittierten die meisten seiner Standesgenossen mit Unverständnis. Aus manchem Blick glaubte er sogar Feindseligkeit herauszulesen. Aber das bewies nur, wie empfindlich die Vertreter der protestantischen Stände, zu denen auch Neruda zählte, auf den Versuch der katholischen Liga reagierten, den Majestätsbrief zu umgehen, der unter anderem das Recht auf freien Kirchenbau garantierte.
Die Atmosphäre, unter der diese Zusammenkunft stattfand, war ein fruchtbarer
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