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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Kopp
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normal gewesen war. Aber was kannte ich schon? Der Erstbeste, der einem das Blaue vom Himmel herunter versprach, der war’s. Teenie-Romantik, ich war nur allzu bereit gewesen, sämtliche Alarmglocken mit einem dicken Kissen zu ersticken. Spießerbedenken, von wegen: Der ist zu alt, der hat doch keine vernünftige Ausbildung, Kind, denk an die Schule, an deine Zukunft. Zukunft ist für mich so weit weg wie China. Jetzt leben, frei sein. Daheim sterben die Leut’. Zukunft ist was für morgen. Und morgen bin ich vielleicht schon tot.
    Nach dieser Begegnung mit Thorsten war mir alles scheißegal. Alles, was mich bis dahin noch mit meiner alten Welt, mit einer gewissen Normalität verbunden hatte, war abgerissen. Mein Leben war nun das Jasmin, kein Weg führte zurück. Ich fand mich damit ab, so wie es war, es schien alles richtig zu sein, so wie es war. Ein konsequenter Weg. Wenn du nur ein Mal konsequent etwas durchziehen würdest! Dann könnte noch mal was aus dir werden. Ja, Mami.
    Ich wusste nicht mehr, was vorher gewesen war, ich verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum. Aus dem Alltag im Jasmin ist mir kaum etwas in Erinnerung geblieben. Nur Momentaufnahmen, kleine Bildfetzen, manche unscharf, andere klar und deutlich. Ich weiß noch, dass wir abends oft Tütensuppen gekocht haben. Wovon wir uns sonst ernährten? Ich habe keine Ahnung. Ich sehe uns in der Küche auf der Holzbank sitzen und Kaffee trinken. Und ich erinnere mich, dass wir im Wechsel mal im Bett oder auf dem Sofa im Wohnzimmer schliefen. All diese Erinnerungsfetzen haben eines gemeinsam. Ich kann sie nicht zeitlich eingrenzen, kann nicht sagen, welches Ereignis sich wann zugetragen hat.
    2 http://www.magistrix.de/lyrics/Tina%20Turner/We-Dont-Need-Another-Hero-23073.html

Russisch Roulette
Kaltes, geschmiedetes Rohr an der Schläfe
Männliches Rohr tief in die Kehle gesteckt
Wenn mich doch nur die Kugel jetzt träfe
Bevor der perverse Traum mich weckt
    Es war früh am Abend, draußen schneite es. Ich stand mit Kugler und einem gut zahlenden Stammkunden im Wohnzimmer vor der Falttür. Ein Geschäftsmann aus dem Westen, der schon einige Male im Jasmin gewesen war.
    Ein mittelgroßer Kerl, gut einsfünfundsiebzig und mit einer kräftigen Statur. Mitte fünfzig vielleicht, mit braunen Haaren, die sich am Hinterkopf schon lichteten. Nach außen hin Typ seriöser Macher, immer im Anzug und mit blankgeputzten Schuhen. Und mit einer Schwäche für Redewendungen. »Das ist doch Jacke wie Hose« oder »Es ist nicht alles Gold, was glänzt.« So was sagte er gerne. Im Umgang mit uns zeigte er sein anderes Gesicht. Das eines groben, widerlichen Sadisten.
    Ich weiß nicht mehr, ob wir eine Auseinandersetzung hatten, was ich gesagt oder getan hatte. Meine Erinnerung setzt erst in dem Moment ein, als der Kunde mir mit dem Handrücken ins Gesicht schlug.
    »Halt’s Maul, Mensch!«, fuhr er mich an. Ich heulte.
    Kugler starrte mich sauer an und ging über diesen Gewaltausbruch hinweg, als sei gar nichts passiert. Wer zahlt, schafft an.
    Für mich war der Schlag wie der Gong zur nächsten Runde. Nur dass ich nicht das strahlende Nummerngirl war.
    In meiner Wut sagte ich: »Wenn ich hier rauskomme, scheiß ich euch alle an! Dann seid ihr dran!«
    Es war ein Fehler, dass ich diese Drohung ausgesprochen hatte. Und ein noch größerer Fehler, dass ich das in Anwesenheit eines Kunden getan hatte. Aber das sollte ich erst am folgenden Tag begreifen. Der Rest des Abends verlief »normal«.
    Es muss am nächsten Tag am frühen Nachmittag gewesen sein, als Kugler in die Wohnung zurückkam. Ich sollte mir »etwas Schlichtes anziehen« und mich beeilen. Die Art, wie er mit mir sprach, verhieß nichts Gutes.
    Ich zog mich wortlos an, ging hinter ihm das Treppenhaus hinunter, raus auf die Straße. Sein Wagen stand direkt vor dem Haus.
    »Los, steig ein.«
    Ich war überrascht, dass ich auf dem Beifahrersitz Platz nehmen durfte. Ich war beeindruckt. Auf der Armlehne zwischen den Sitzen war eine Vorrichtung angebracht, in der ein Autotelefon steckte. Ein ziemlich großer Kasten, aber damals waren die noch so. Die ganze Karosse mit Leder ausgestattet, alles sehr edel.
    In meiner Unsicherheit lächelte ich ihn an und sagte: »Der Wagen ist schon cool.«
    Er blickte kurz zu mir herüber: »Tja, das hättest du auch alles haben können.« Kugler machte eine Pause, bevor er mit ernster, ruhiger Stimme fortfuhr: »Mandy, du bist zu weit gegangen. Diesmal hast du den Bogen wirklich

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