Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
Macht gegeben, nicht dass sie sie töteten, sondern sie quälten, fünf Monate lang.
»Wir machen das alles wieder gut, versprochen.«
»Ja, alles wird wieder gut.«
Ich beugte mich zu Kugler nach vorn und legte meine Hand auf seinen Arm, aber er schubste sie nur angewidert von sich weg.
Als wir ausstiegen, knurrte er nur: »Seht zu, dass ihr reinkommt!«
Auf dem Weg zur Haustür fuhr ich mir aus Nervosität über den Kopf und hielt plötzlich ein riesiges Büschel Haare in der Hand. Ich schrie panisch auf. Kugler packte mich am Hals und zerrte mich durch die Tür. »Bist du bescheuert, hier so rumzubrüllen?«
In der Wohnung mussten wir »antreten«. Er fläzte sich in einen Sessel im Wohnzimmer, wir standen wie die Orgelpfeifen vor ihm. Trixi und Jasmin hatten kein Wort gesagt, als wir im Flur an ihnen vorbeigegangen waren.
»Also, noch mal von vorn. Wer hatte die beschissene Idee?«
Keine rührte sich.
»Ich höre!«
Als wir immer noch nichts sagten, fing er an, Ines und mich zu schlagen. Abwechselnd. Eine nach der anderen, immer in die Fresse. Lea ließ er aus. Sein Augenstern, ihr konnte er nicht so weh tun. Sie stand mit schreckgeweiteten Augen zwischen uns und heulte.
»Hör auf, du machst sie kaputt! Hör bitte auf.« Sie sagte das so oft, bis er ihr tatsächlich eine knallte und ihr befahl, aus dem Weg zu gehen. »Setzt dich aufs Sofa und sei endlich still. Dein Gewinsel ändert gar nichts, damit hilfst du den beiden nicht, im Gegenteil!«
Lea kauerte sich auf die Couch. Sie wirkte winzig in diesem Moment.
Irgendwann nahm ich die Schläge nicht mehr wahr. Ines hatte eine aufgeplatzte Lippe, das Blut rann ihr über das Kinn. Ich blickte zum Fenster, zählte die Lamellen des roten Rollos. »Sieh mich an, verdammt noch mal, sieh mich an.« Wham. Sing, sing, all the children say we don’t need another hero, we don’t need to know the way home … 2 Immer wieder, es ist wie ein Tanz, sieh mal, ein Schattenspiel, rechts, links, rechts … Bis Ines sagte: »Mandy war’s.« Die Platte blieb hängen, die Nadel kratzte über das Vinyl.
»Wusst ich’s doch. Hast wohl gedacht, dein Kerl wartet noch auf dich? Auf so eine wartet keiner mehr … War ’ne dumme Entscheidung. Damit seid ihr mir direkt in die Arme gelaufen.«
Ein Abgrund. Ich falle. Sinnlos, alles ist sinnlos. Soll er mich doch weiter schlagen, es kümmert mich nicht.
Ich höre mich sagen: »Komm, schlag zu. Komm schon! Noch mal. Ist das alles, was du draufhast?«
Ich grinse ihn an. Kein Schmerz, der schlimmer wäre, als das, was in diesem Moment in mir vorgeht.
Kugler zögert. Dann brüllt er: »Raus! Alle raus … Du bleibst hier!«
Dann schiebt er mit voller Wucht seinen Sessel nach hinten, springt auf und reißt eine Schublade in der schwarzen Vitrine auf. Der Schlag trifft mich aus dem Nichts. Ein Schmerz, auf den ich nicht vorbereitet war. Der mir durch die Glieder fährt, beißend, sich in meine Haut fressend. Ich gehe in die Knie, hebe schützend die Arme über den Kopf. Der Lederriemen krallt sich um meinen Hals, ich bekomme keine Luft mehr. Kugler reißt an der Peitsche. Als er sie wieder freibekommt, zieht er sie über meinen Rücken.
»Zieh dich aus, du Miststück!«
An meinem Oberteil zieht er mich ins Schlafzimmer.
»Komm, es reicht, ich hab’s verstanden«, sage ich. Ich fange an zu reden, ohne Punkt und Komma, irgendwas, nur damit er aufhört.
Das Einzige, was er sagt, ist: »Schneller.«
Nackt stehe ich vor dem Bett. Die Wucht, mit der er mich nach hinten rammt, trifft mich unvorbereitet. Mit der Schulter knalle ich gegen das Kopfteil. Meine Fäuste hämmern auf seinen Oberköper ein.
»Sag bloß, du hast Angst?!«
Hab ich nicht, hab ich nicht. Nicht vor dir.
Ich kriege keine Luft mehr. Ich ersticke.
»Du wirst den Tag noch bereuen, an dem du zur Welt gekommen bist.«
Das Nächste, was ich mitbekam, war ein stechender Schmerz, der mich fast zerriss. So als würde ich in zwei Stücke geteilt. Danach war nichts mehr.
Als er von mir abließ, sagte er: »Und jetzt, Kleine, ab ins Bad. Wasch dir die Scheiße aus dem Gesicht.« Sein Lieblingssatz.
Ich spürte keinen Schmerz. Ich sah mich dort liegen, in meinen Gedanken weit fort. Ein Gefühl der Gleichgültigkeit, ich hatte noch nicht einmal mehr darauf gewartet, dass es endlich vorbei war. Ich stand auf, das Blut, das mir an den Beinen herunterlief, bemerkte ich kaum. Meine Beine waren wie Pudding.
Im Bad stehe ich vor dem Spiegel. Siehst richtig scheiße
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