Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
raus. Und die wollen dann immer, … und lassen uns nicht … Sie müssen uns helfen …«
Er glotzte mich ungläubig an. »Hast du was genommen? Du spinnst ja. Deine Mutter hat schon recht, dass sie dich vor die Tür gesetzt hat. Ich kann euch nicht helfen.«
Augen zu, Affe tot.
Nach unserer Befreiung erfuhr ich, dass er meiner Mutter noch nicht einmal erzählt hat, dass er mich an jenem Tag gesehen hat.
Wir spielten einige Runden Billard, um uns die Zeit zu vertreiben. Die Minuten bis zu Thorstens Dienstschluss zogen sich quälend lang hin. Ich hatte gerade die Acht versenkt, Mist noch mal, schon wieder verloren , als die Tür aufging. Na endlich!
In der Tür ein Schatten, riesig. Was bitte …?
Es ging alles rasend schell. Ich sah, wie Ines’ Kopf zurückflog und sie im nächsten Moment zu Boden ging. Zwei Männer drückten sie auf den Boden, Lea schrie wie am Spieß. »Hört auf, hört doch auf!«
Dann wurde ich von hinten an den Haaren gepackt und auf den Billardtisch gezerrt. Der Queue fiel mir aus der Hand und knallte auf den Boden. »Euch werd ich’s zeigen, ihr Schlampen! Raus ins Auto, und zwar schnell, bevor ich mich vergesse!« Kugler brannte vor Wut und schubste mich auf dem Weg nach draußen vor sich her. Rainer und ein Mann, den ich nicht kannte, hielten Lea und Ines mit eisernem Griff fest.
Wir müssen eine seltsame Prozession abgegeben haben, trotzdem reagierte kein Mensch. Sie schauten einfach weg, keiner rührte sich! Nur nicht auffallen, bloß nicht in Schwierigkeiten geraten. Ich hätte schreien mögen. Schweine seid ihr, alles Schweine. Kinderficker, alle miteinander. Schwänze einziehen, nix hören, nix sehen, nix sagen. Und wenn’s ganz schlimm wird, die ganze Scheiße mit ’ner Flasche Bier runterspülen.
Im Rausgehen klopfte Kugler mit den Knöcheln auf die Theke und sagte: »Danke für die gute Zusammenarbeit! Soll dein Schaden nicht gewesen sein.«
Thorsten sah mich noch nicht einmal an. Er meinte nur: »Dann bis zum nächsten Mal!«
Ich begriff überhaupt nicht, was da gerade passierte.
Er hatte uns verraten? Mich verraten und ausgeliefert?
Das konnte nicht sein, das musste ein Irrtum sein, ich hatte mich verhört, ganz sicher, durchgeknallt eben .
Draußen drückten uns die Männer gewaltsam ins Auto. »Wer von euch hatte diese beschissene Idee, ha? Wer?« Ein Schlag traf mich ins Gesicht, mit dem Kopf knallte ich mit Ines zusammen. »Ich krieg das schon raus! Ich hab euch oft genug gewarnt! Jetzt ist Feierabend!«
Lea oder Ines, ich weiß nicht mehr, wer, fing an zu wimmern und sagte immer wieder, dass es ihr leidtue. Er brüllte nur, dass wir das Maul halten sollten. »Ihr kotzt mich an! Ihr kotzt mich richtig an! Das ist das letzte Mal gewesen, dass ihr mir auf der Nase herumtanzt.«
»Bitte, wir wollten das nicht, bitte, das … es war einfach nett, wir haben die Zeit vergessen und wollten wirklich …«
»Für wie blöd haltet ihr mich eigentlich? Jetzt ist Endstation, die Damen, Endstation!«
Was meinte er damit?
Ines war die Erste, die die Situation erfasste.
»Nein! Alles, was du willst, aber nicht das! Bitte, tu uns das nicht an!«
Er grinste durch den Rückspiegel.
»Das habt ihr einzig und allein euch zuzuschreiben!«
Lea und ich blickten Ines ratlos an. In ihrem Gesicht war nur noch blanke Panik. Mit den Lippen formte sie ein Wort, immer wieder. Sch …, Sch …, was zum Teufel? Schweine …?
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Todesangst. Den Begriff »Schweinemastanlage« hatten Lea und ich hin und wieder aufgeschnappt, wenn sich die anderen Mädchen am Küchentisch unterhielten. Keine von ihnen war je dort gewesen, jede aber benutzte den Begriff nur zögernd, leise und voller Angst. In Kuglers Evangelium war das die Apokalypse.
Ich wollte nicht sterben.
Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken.
Schuldig im Sinne der Anklage!
Ich hatte schweißnasse Hände, krallte mich an der Autotür fest, als könnte ich so verhindern, dass ich aussteigen musste. Und der dritte Teil der Erde verbrannte, und der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles grüne Gras verbrannte.
Wieder ein Blick in den Rückspiegel. Kugler nickte Rainer, der neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, selbstgewiss zu. Dann setzte er den Blinker und bog ab.
Nach Hause! Er fährt mit uns nach Hause! Da vorne, gleich, da geht es in die Merseburger Straße!
Wir brachen in Tränen aus. Mein Herz raste, ich flennte aus Angst und aus Erleichterung. Und ihnen wurde
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